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Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Lancelot. Er konnte sie nicht enttäuschen. Er durfte nicht. Er drückte die kalte Träne in seiner Faust und nahm das Eis in seine Seele auf. Er zwang sich zum Aufstehen.
    Danach ging es leichter. Langsam beraubte er den toten Mann seiner Kleidung und zog sich an, obwohl für ihn alles zu lang war, das Hemd und die Chamäleonstoffjacke große Brandstellen aufwiesen und der Mann seine Hose beschmutzt hatte. Dirk zog der Leiche auch die Stiefel ab, aber sie waren für seine geschwollenen, blutüberkrusteten Füße viel zu eng. Er war gezwungen, Pyrs Stiefel zu benutzen. Pyr hatte riesige Füße.
    Sein Lasergewehr und Pyrs Stock als Krücken benutzend, quälte er sich auf den Wald zu. Am Waldrand hielt er inne und drehte sich um. Der Hund, der sich mit seiner Kette verfangen hatte, versuchte wieder, sich loszureißen. Jedesmal, wenn er ruckte, gab der Gleiter ein metallisches Geräusch von sich. Davor lag ein nackter Körper im Schmutz, und nahe am Gleiter schwankte ein silberglänzendes Gebilde im Wind. Pyr konnte er kaum ausmachen. Die Blutflecken hatten dem Anzug des Jägers ein scheckiges Schwarz und Braun und hier und da ein dumpfes Rot verliehen und ihn damit dem Untergrund angepaßt, auf dem er gestorben war. Dirk kümmerte sich nicht um den bellenden Hund und humpelte durch das Würgerdickicht davon.

13
     
     
    Die Strecke vom Lager der Jäger bis zum abgestürzten Gleiter betrug weniger als einen Kilometer, aber Dirk war sie wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Der Rückweg erschien ihm doppelt so lang. Später dämmerte ihm, daß er diesen Weg nicht bei vollem Bewußtsein zurückgelegt hatte. Seine Erinnerung daran war nur noch bruchstückhaft vorhanden: Stolpern, Fallen, eine am Knie aufgerissene Hose. Ein kalter, schnellfließender Bach, an dem er sich das getrocknete Blut aus dem Gesicht wusch, seine Stiefel auszog und die Füße in das eisige Wasser baumeln ließ, bis er sie nicht mehr spürte. Die angstvolle Klettertour über die Schieferplatte, die ihm auf dem Hinweg fast zum Verhängnis geworden war. Eine dunkle Höhlenöffnung gähnte vor ihm. Sie versprach Schlaf und Ruhe, Verlockungen, denen er aber nicht nachzugeben wagte. Er kam vom Weg ab, verlief sich, suchte die Sonne, fand sie, folgte ihr, kam wieder vom Weg ab. Im Gewirr der Würger flatterten Baumgeister von Ast zu Ast und zirpten mit dünnen Stimmchen. Von den wächsernen Zweigen starrten ihm tote weiße Hüllen entgegen. Weit hinter ihm heulte der Banshee. Der nicht enden wollende Laut jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Furcht und Erschöpfung ließen ihn ein weiteres Mal zu Boden sinken. Der Stock entfiel ihm, rutschte einen steilen Hang hinunter und blieb zwischen dichtem Buschwerk liegen. Nicht suchen, weiter, immer weiter. Einen Fuß vor den anderen setzen, sich nur noch auf den Laser stützen, den unsagbar schmerzenden Füßen Erleichterung verschaffen. Wieder der Banshee. Diesmal sehr nahe, fast über ihm. Suchende Blicke durch den Baldachin aus Ästen, hinauf in den düsteren Himmel. Gehen. Schmerzen. Er erinnerte sich an all diese Dinge und wußte, daß es zwischen ihnen auch noch etwas gegeben hatte, das sie miteinander verband. Vielleicht schlief er im Gehen. Aber er hielt nicht an.
    Am späten Nachmittag erst erreichte er die kleine sandige Fläche neben dem grünen See. Die Gleiter waren noch immer dort. Einer lag mit verbogenen Tragflächen im Wasser, die anderen drei standen am Strand.
    Einer dieser drei – es war Lorimaars überdachtes Gefährt – wurde von einem Hund bewacht, der mit einer langen schwarzen Kette an der Tür festgebunden war. Das Tier lag am Boden, aber als Dirk sich näherte, erhob es sich zähnefletschend und knurrte böse. Dirk ertappte sich dabei, wie er mit einem Lachen laut herausplatzte. Eine verrückte Situation. Da war er nun diesen endlos langen Weg gegangen, nur, um einen Hund vorzufinden, der, an einen Gleiter gekettet, ihn anknurrte. Das hätte er haben können, ohne auch nur einen Schritt zu tun. Vorsichtig ging er um den Gleiter herum und vermied dabei, sich in die Reichweite des Hundes zu begeben. Auf der anderen Seite stieg er ein und schloß die Tür hinter sich. Die Luft in der engen, dunklen Kabine war stickig. Nachdem er so lange gefroren hatte, fühlte er sich hier behaglich warm. Er wollte nur noch eines: sich hinlegen und schlafen. Aber er zwang sich, nach dem Fach mit der Notausrüstung zu suchen. Er fand einen Verbandskasten und öffnete ihn. Er war voller Tabletten,

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