Die Flamme erlischt
Handgelenk, streifte den Rucksack über, kletterte hinaus und breitete das silberne Metallgewebe auf dem Sand aus.
Es war stockdunkel. Sein Leitstern aus der vorigen Nacht, Hoch Kavalaans Sonne, leuchtete hellrot und einsam über dem Wald. Dirk sah ihn und freute sich. Heute Nacht würde er nicht als Wegweiser dienen, Jaan Vikary hatte sich bestimmt in die entgegengesetzte Richtung davongemacht, genau auf Kryne Lamiya zu. Aber der Stern kam ihm wie ein Freund vor.
Er rüstete sich noch mit einem frisch aufgeladenen Lasergewehr aus, dann bediente er die Handsteuerung und hob vom Boden ab. Hinter ihm erhob sich der Braithhund und fing zu heulen an.
Er flog die ganze Nacht hindurch und hielt sich dabei nur wenige Meter über den Baumwipfeln. Von Zeit zu Zeit zog er seinen Kompaß zu Rate oder hielt nach den Sternen Ausschau. Es gab nur wenig zu sehen. Unter ihm rollten die Wälder endlos dahin, schwarz und verschwiegen. Kein Feuer oder Licht unterbrach ihre Dunkelheit. Manchmal schien es, als würde er stillstehen, und das erinnerte ihn an den letzten Flug auf den Himmelsflitzern durch Worlorns verlassene U-Bahn-Tunnels. Der Wind war sein ständiger Begleiter. Er blies ihm in den Rücken, und Dirk begrüßte das Plus an Geschwindigkeit, das er ihm verlieh. Er ließ den Mantel um seine Beine flattern, und immer wieder nahmen ihm seine langen Haare die Sicht. Unter ihm rauschte der Wind durch den Wald, bog die schwächeren Bäume und schüttelte die größeren mit wütender Hand, so daß sie die letzten Blätter verloren. Nur den Würgern schien er nichts anhaben zu können – und es gab eine Menge Würger. Während er sich durch jenes Astgewirr kämpfte, brachte der Wind hohe, eigentümliche Geräusche hervor. Die Geräusche paßten gut hierher, es war der Wind von Kryne Lamiya, in den Bergen geboren und kontrolliert von Dunkeldämmerungswettermaschinen, der seinem Geschick entgegeneilte. Voraus warteten die weißen Türme, und die erstarrten Hände schworen ihn auf diese Richtung ein. Es waren noch andere Geräusche zu vernehmen: Bewegungen im Wald unter ihm, das Knurren nächtlicher Jäger, das Rauschen eines schmalen Baches, das Grollen von Stromschnellen. Mehrere Male hörte Dirk das schrille Zirpen der Baumgeister und sah kleine Gebilde pfeilschnell von Ast zu Ast schießen. Augen und Ohren nahmen seltsamerweise immer mehr wahr. Er überflog einen weiten See und hörte etwas im Wasser plantschen. Dann zerriß hohlklingendes Gebell, weit entfernt am anderen Ufer, die Nacht. Und hinter ihm heulte es wie als Antwort auf die Herausforderung auf. Der Banshee.
Dieses Geräusch jagte ihm ein Frösteln über den Rücken. Nackt im Wald, war der Banshee für ihn eine schreckliche Drohung gewesen, eine geflügelte Inkarnation des Todes. Jetzt besaß er ein Gewehr und eine Handfeuerwaffe, und die Bedrohung durch den Banshee hatte viel von ihrem Schrecken verloren. Vielleicht war er sogar ein Verbündeter, dachte er. Schon einmal hatte er ihm das Leben gerettet. Vielleicht tat er es wieder.
Als der Banshee zum zweiten Mal sein grausiges Heulen ertönen ließ – immer noch hinter ihm, aber in größerer Höhe – lächelte Dirk nur. Er stieg höher, um das Tier unter sich zu bringen und flog eine Schleife. Aber es war noch zu weit weg und genauso schwarz wie seine Kleider aus Chamäleonstoff. Er sah nur andeutungsweise eine Bewegung vor den Baumkronen, möglicherweise hatten sich aber auch bloß Zweige im Wind bewegt.
Er behielt die Höhe bei und zog erneut seinen Kompaß zu Rate. Dann änderte er den Kurs und flog wieder auf Kryne Lamiya zu. In dieser Nacht glaubte er noch zweimal den Schrei des Banshee zu vernehmen, aber das Geräusch war sehr schwach.
Der Himmel im Osten begann sich gerade zu erhellen, als er die unstete Musik vernahm, jene verstreuten Fetzen der Verzweiflung, die ihm für seinen Geschmack nur allzu bekannt vorkamen. Dunkeldämmerungsstadt war nicht mehr weit entfernt.
Er verlangsamte seinen Flug und schwebte schließlich zögernd auf der Stelle. Er war den Kurs abgeflogen, von dem er annahm, daß Jaan ihn zu Fuß zurücklegen würde – und hatte nichts bemerkt. Vielleicht lag er mit seiner Vermutung verkehrt. Vielleicht hatte Vikary seine Verfolger in eine andere Richtung gelockt. Aber Dirk glaubte es nicht. Es war viel wahrscheinlicher, daß er sie im Dunkel der Nacht überflogen hatte, ohne sie zu sehen.
Er begann, denselben Kurs zurückzufliegen, jetzt gegen den Wind. Bei Tageslicht würde
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