Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
folgen. Wir beten, dass diese alagai ein würdiges Opfer sind, das dir überbracht wird von den ersten deiner Sharum’ting .«
» Sharum … ting? «, wiederholte Jayan verständnislos.
Daraufhin hoben die Frauen ihre Hände und nahmen mit derselben synchronen Präzision, mit der sie gekämpft hatten, ihre Turbane und Schleier ab. Jardir hielt den Atem an, denn er hatte die beiden schon an ihren Auren erkannt. Inevera war wirklich raffiniert, das konnte er nicht abstreiten. Aber dieses Mal hatte sie in ein Hornissennest gestochen. Sogar Asomes Gleichmut war erschüttert. »Was bei Nies Abgrund hat das zu bedeuten?«
»Shanvah?«, rief Shanjat, als er sah, dass seine Tochter vor ihnen stand. Ihre Mutter, Hoshvah, war Jardirs Schwester, demnach war Shanvah seine Nichte.
Aber es war die andere Frau, bei deren Anblick Asomes Aura vor Wut so grell strahlte, dass Jardir, obwohl das Licht nur von der Seite in seine Augen schien, beinahe geblendet wurde. Denn diese Frau war Ashia, die Tochter, die Imisandre, Jardirs älteste Schwester, ihrem Gemahl Ashan geboren hatte.
Asomes Erste Gemahlin.
Die Morgendämmerung war nahe; die Buntglasfenster im Thronsaal füllten sich allmählich mit Farben. Sämtliche der traditionellen Riten, die für die Ernennung zum Sharum Voraussetzung waren, hatten stattgefunden. Die jungen Frauen hatten alle Erfordernisse erfüllt, die nötig waren, um Dämonen zu töten, sie hatten in der ungeschützten Nacht gegen alagai gekämpft und sich behauptet. Inevera hatte die hora für sie geworfen und sie – wie nicht anders zu erwarten war – für würdig befunden. Jetzt mussten sie nur noch auf den Sonnenaufgang warten und auf seine Entscheidung.
Es würde nicht leicht sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Uralte kulturelle Werte wurden in Frage gestellt, und ganz gleich, zu welchem Entschluss er sich durchrang, er würde so oder so den Respekt und die Loyalität von Familienmitgliedern und wertvollen Verbündeten verlieren.
Er sah Inevera an, deren Aura – sehr zu seinem Verdruss – immer noch Selbstzufriedenheit ausstrahlte. Sie liebte ihn, aber das war nicht dasselbe, als wenn sie auf seiner Seite stand. Fast gelangweilt rekelte sie sich auf ihrem Polster aus Kissen, doch unter der Fassade aus Gleichgültigkeit war sie höchst konzentriert.
Neben ihr, auf dem Thron, sah Jardir zu, wie Asome und Ashia in einem kleinen Alkoven am hinteren Ende des Raumes standen und sich in verhaltenem Ton stritten. Es kostete ihn nicht viel Mühe, durch den Stein zu schauen und ihre Auren zu sehen. Mit seinem feinen Gehör verstand er jedes Wort.
»Wie kannst du mir solche Schande bereiten?«, fragte Asome, dessen Hände vor Aufregung zitterten. Jardir hatte ihn eigens daran erinnert, dass es in seinen Augen ebenso frevelhaft war, eine dama’ting zu schlagen, wie eine seiner Nichten. Doch an Asomes Aura erkannte er, dass er trotzdem nicht davor zurückscheuen würde.
»Ich soll Schande über dich gebracht haben?« Ashias Aura war klar und ruhig, wie die eines Kriegers, der seine Furcht umarmt und überwunden hat. »Gemahl, du solltest stolz auf mich sein. Shanvah und ich sind die ersten krasianischen Frauen, die der Nacht getrotzt haben und mit Dämonenblut getauft wurden. So etwas kann dir nur zur Ehre gereichen.«
»Ehre?«, höhnte Asome. »Wenn du unverschleiert und in Männerkleidung durch die Gegend stolzierst? Was ist ehrenvoll daran, wenn jeder Mann, der mir begegnet, glaubt, ich könnte meine eigene Gemahlin nicht beherrschen?«
»Ich will aber nicht beherrscht werden!«, fauchte Ashia. »Du und mein Bruder mögen ja meinen Vater überredet haben, mich dir zur Frau zu geben, aber mein Wunsch war es nie.«
»Bin ich deiner nicht würdig?«, fragte Asome. »Genügt es dir nicht, mit dem zweitgeborenen Sohn des Erlösers vermählt zu sein? Wäre es dir lieber gewesen, man hätte dich Jayan gegeben?«
»Ich entstamme auch dem Geblüt des Erlösers«, versetzte Ashia, »und ich bin eine Prinzessin vom Stamm der Kaji. Ich möchte niemandem gegeben werden!«
Asome schüttelte den Kopf; seine Aura verriet, dass er aufrichtig verwirrt war. »War ich dir kein guter Ehegemahl? Habe ich dir nicht jeden Wunsch erfüllt? Mit dir ein Kind gezeugt?«
»Du und Asukaji habt euch nie darum gekümmert, was ich will. Du hast mich in Seide gekleidet und mich mit Luxus überhäuft, aber darüber hinaus hast du keinen Gedanken an mich verschwendet – abgesehen von der Nacht unserer Vermählung, als
Weitere Kostenlose Bücher