Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
Vom Netzwerk:
sich die bissigen Kommentare der Hundezüchterin vor, die Ruth noch nicht gesehen hatte, weil sie nach wie vor im Bett lag. Ruths Damenbart hätte Marisabel viele Steilvorlagen geliefert. Trotz ihrer Stattlichkeit wurde Ruth von allen Männern übersehen, denn sie war nicht nur hässlich, sondern auch schweigsam. Bisher hatte sie niemandem verraten, woran sie erkrankt war.
    Minnie interessierte sich ohnehin nicht dafür. Sie nahm immer weniger Anteil an den neuen Gästen. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens würden morgen – acht Tage vor Heiligabend – endlich ihre Töchter eintreffen. Zweitens wusste sie, dass Mike das Haus bald verlassen würde, weil sein Vater im Sterben lag. Drittens war ihr elend. In der letzten Nacht hatte die alte Dame geblutet. Minnie fühlte sich schwach und verletzlich. Kostjas Kost schmeckte ihr nicht mehr.
    Der wahre Grund für ihr Desinteresse an den neuen Gästen jedoch hörte auf den Namen Angst. Wenn es in Haus Holle einen heimtückischen Mörder gab und sie sterben würde, bevor sie ihn enttarnt hatte, würde sie sich bis zum letzten Moment quälen. Doch ihre Chancen standen immer schlechter, denn die Zeit spielte gegen sie. Sobald ihre Töchter eingetroffen wären, würde sie keine ruhige Minute mehr haben. Ohne Mike wäre die Lage noch aussichtsloser.
    Warm strich Nepomuk um ihre Beine.
    Halbherzig hörte die alte Dame den Gesprächen der neuen Gäste und ihrer Angehörigen zu, die allmählich eine neue Clique bildeten. Minnie erinnerte sich daran, wie sie vor sechs Wochen mit ihrer Hospiz-Familie glücklich im Esszimmer gesessen hatte. Damals hatte sie noch dazu gehört. Jetzt jedoch spürte sie, dass die neue, äußerst lebendige Tischrunde bestens auf sie verzichten konnte. Für die neuen Gäste war sie eine alte, schwache Dame, von der niemand Kenntnis nahm.
    Bis sie angesprochen wurde. „Geht es Ihnen nicht gut? Sie sind ja totenbleich!“
    Die Zwei-Meter-Frau blickte sie an.
    Minnie entschloss sich, keine Maske aufzusetzen.
    „Richtig, ich fühle mich ganz schlapp…“ Schwankend erhob sie sich vom Tisch.
    „Was ist, Minnie?“ Kostja eilte aus der Küche. Sofort war auch Dr. Albers zur Stelle. „Komm, ich helfe Dir. Möchtest Du Dich etwas hinlegen?“
    Die alte Dame bejahte.
    „Darf ich Sie begleiten?“ Die große Frau mit dem Damenbart nickte Minnie insistierend zu. „Ich würde mich wirklich sehr freuen… Wenn Sie mögen, setzte ich mich ein wenig zu Ihnen ans Bett, damit Sie sich nicht allein fühlen.“
    Dr. Albers lächelte freundlich. „Ein tolles Angebot, Frau Bröckel. Nicht allein zu sein ist wichtig für unsere Gäste. Gerade in der letzten Lebensphase. Möchtest Du begleitet werden, Minnie?“
    Die alte Dame bejahte. Ihr war alles egal. Sie ließ sich von Ruth einhaken und staunte über ihre immense Kraft. Die hässliche Frau hatte sie fest im Griff.
    „Da haben sich ja zwei gefunden“, meinte Rudi. „Eine schöner als die andere… Im Playboy könnten die nicht landen.“ Er schlackerte mit den Ohren und hustete. Das Geräusch verfolgte Minnie bis oben.
    Schwankend betrat sie ihr Zimmer, dessen Türklinke plötzlich mit einem Handtuch umwickelt war. Wie ein Stein fiel sie ins Bett, wo bereits eine Katze auf sie wartete.
     
    Minnie erwachte drei Stunden später. Ihr Raum lag im Halbdunkel. Vom Flur fiel Licht hinein. Doch der Schatten, den sie sah, wurde nicht von Lampenschein geschaffen.
    Noch immer hielt die hässliche Ruth Wache an ihrem Bett. Minnie konnte nur die Kontur der Zwei-Meter-Frau erkennen. 
    „Sind Sie wach?“, fragte Frau Bröckel.
    „Ich glaube ja. Wie spät ist es?“
    „17.30 Uhr“, antwortete der Schatten. „Sie haben tief und fest geschlafen.“
    Ruth knipste das Licht an.
    Als erstes sah Minnie ihre graue Igelfrisur, dann blickte sie in zwei helle Augen. „Sie sollten sich Ihren Damenbart abrasieren“, sagte Minnie ehrlich. „Es sind nicht viele Haare, aber…“
    Im nächsten Moment war sie erneut tief eingeschlafen .
     
    „Ihre Töchter kommen erst morgen! Es schneit wie wild – in ganz Deutschland…“
    Minnie war verwirrt. Wo war sie? Und wem gehörte die Stimme, die von ihren Töchtern sprach? Ihr Geist hellte sich langsam auf. Erneut blickte sie in Ruths Augen. „Sie sind ja immer noch da!“ Die alte Dame war ehrlich erstaunt.
    Ruth räusperte sich. „Ich bin nur kurz etwas essen gegangen, aber die Sorge um Sie hat mich nicht losgelassen. Also habe ich ein paar Zeitschriften gelesen, und Ihnen

Weitere Kostenlose Bücher