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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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gedacht… weil es so bläht… ich fühle mich so unwohl mit dem Bauch…“
    „Ist doch egal“, meinte Mike. „Erzählen Sie mal, warum bleiben Sie im Bett? Wollen Sie Weihnachten wirklich nicht mehr feiern?“
    „Ach“, entgegnete Marisabel. Sie schaute auf die Putten über ihrem Bett, rückte ein Bild gerade und strich die Decke, unter der sie lag, glatt. „Ich habe so sehr gekämpft. Sie haben es ja selbst gesehen. Jetzt habe ich einen Infekt, und weiß, dass es gar kein Infekt ist. Ich spüre, dass ich sterben werde. Mein ganzer Rücken verkrümmt sich. Und ich bin so abgemagert. Der Tod soll mich endlich holen. Wie gesagt – ich bin bereit.“
    „Bekommen Sie noch häufig Besuch?“ Mike sorgte sich ehrlich um ihr Befinden.
    „Heute Abend will sich meine Tochter blicken lassen“, erwiderte die Hundezüchterin. „Sie muss ja tagsüber arbeiten. Wenn ihre kranke Mutter bis dahin stirbt, ist es auch egal – wir haben uns schließlich ausgesprochen. Ansonsten verabschiede ich mich heute Abend von ihr. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich gestorben sein werde. Sie haben ja selbst mitbekommen, wie schnell es mit Annette und Nadine ging. Und jetzt auch noch die arme Bella! Ihre Leber soll sich sehr vergrößert haben, wird gemunkelt. Außerdem klagt sie über Mundfäulnis, soll völlig verwirrt sein und ständig nach Büchern wie Die Kräuterapotheke Gottes verlangen, erzählt man…“
    Mike bestätigte das Gerücht.
    Bella Schiffer lag tatsächlich im Sterben.
    „Ist sie allein?“, fragte Marisabel.
    „Ich weiß es nicht“, meinte der Reporter. „Heute Morgen waren ihr Mann und ihre Töchter bei ihr. Sie liegt im Delirium, und sie ist nicht mehr ansprechbar. Soweit ich weiß, zählt Bellas Leben in Tagen.“
    Marisabel schniefte. Teilnahmsvoll blickte sie Mike in die Augen. „Und Ihr Vater?“
    „Er schläft tief und fest. Die Ärzte haben uns darauf vorbereitet, dass es nicht mehr lange dauern wird. Aber er will keine Spritze.“
    Mike holte tief Luft. „Seine Hustenanfälle mit zu erleben ist unerträglich. Bei jedem Anfall bekomme ich selbst Luftnot.“
    Die Hundezüchterin tätschelte seine Hand. „Ist es nicht schrecklich, was mit uns passiert? Und wie schnell sich alles ändert? Ich kann mich nur wiederholen, aber vor ein paar Wochen saßen wir noch alle gesund und munter im Esszimmer. Sie wissen noch, wie schön unser Spaziergang war? Damals dachte ich, dass die krumme Sonja, die an Aids erkrankt ist, die Erste sein würde, die uns verlässt. Aber sie hält sich wohl wacker, nehme ich an?“
    „Ja“, bestätigte der junge Mann. Von Mutter Merkel wusste er, dass es Sonja wieder besser ging.
    Marisabel war nicht zu bremsen. „Wie kann es sein, dass jemand, der aussieht wie der Tod, uns Gesunde alle überlebt? Und dass hier plötzlich Leute reinkommen, die man teilweise nicht mal zu Gesicht bekommen hat? Den jungen Förster, diesen Jesse, habe ich nur ein paar Mal gesehen – und den Priester kein einziges Mal. Früher waren die Menschen in Haus Holle wesentlich zugänglicher und aufgeschlossener.“
    Ihr Redefluss war nicht zu stoppen. „Und dann der alte Vagabund, dieser schreckliche Herr Weiß. Der versteht ja nicht einmal, wo er sich hier befindet. Was meinen Sie dazu?“
    Sie blähte erneut laut- und geruchlos, und fuhr dann ohne Pause fort. „Nie im Leben hätte ich vermutet, dass ich mal sagen würde, dass dieser Raucher, dieser Montrésor mir eines Tages mal sympathisch geworden sein würde. Aber er scheint der Letzte zu sein, der noch von früher übrig ist. Annette, Berthold, Omi und Nadine sind gestorben, Bella und Sonja halbtot. Verzeihen Sie, aber Ihren Vater bekommt man ja auch nie zu Gesicht, genau wie den Herrn, den seine eifersüchtige Gattin abschirmt wie ein Stacheldrahtzaun.“
    Ihr Blick wurde neugieriger. „Sind wenigstens zwei Lebendige für Annette und Nadine nachgerückt?“
    Mike nickte.
    Zimmer 10, wo Annette wochenlang gelebt hatte, war von einer riesigen Frau bezogen worden. Sie maß fast zwei Meter. Auch Nadines ehedem unordentliches Zimmer war nach dem Aufräumen wieder verfügbar geworden. Vor einer halben Stunde hatten drei Südamerikaner unzählige Koffer hineingetragen, die einer schönen Latina gehörten.
    Beide Gäste waren, abgesehen von der Tatsache, dass sie todkrank waren, mobil wie es Dr. Albers nannte. Sie saßen bereits an Kostjas Esstisch.
    „Schade, dass ich sie nicht mehr kennenlerne“, sagte Marisabel, „aber ich kann ja nicht

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