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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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sie von außen betrachtet gelb und klein und dünn aussehen und ihr Atem pausenlos rasselt und sie mit den Lippen zittern, als würden sie an etwas Unsichtbarem weben.“
    Jetzt hob Dr. Coppelius die Hand. „Wir wollen Minnie nicht verängstigen. Ich bin nur hier, um Sie zu fragen, ob Sie unter Schmerzen leiden…“
    Die alte Dame verneinte.
    „Möchten Sie eine Spritze erhalten, um tief und lange und fest einzuschlafen?“
    Nach einer Schweigepause sagte Minnie: „Auf keinen Fall. Mir geht es wirklich sehr gut. Ich möchte alles bewusst erleben. Dazu hat man doch nur einmal die Chance.“
     
    Ein Stockwerk höher, in Zimmer 12, schliefen die Menschen längst.
    Doch um 20.30 Uhr erwachte Anne Powelz. Sie ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu holen. Im Flur traf sie den Psychologen.
    Kaum hatte Anne das Zimmer verlassen, erwachte ihr Gatte aus einem tiefen Schlaf, der ihn seit Tagen beruhigte und nur hin und wieder von starken Hustenanfällen unterbrochen wurde.
    Nun jedoch schlug er die Augen auf und war plötzlich wach.
    Sofort ergriff Mike seine Hand. „Wie geht es Dir, Papa?“
    „Gut“, antwortete sein Vater.
    Herbert blickte aus dem Fenster und deutete auf die Schneeflocken. „Ich habe den Schnee immer geliebt“, flüsterte die Stimme des Kranken. „Er lässt alles so unschuldig wirken.“
    Sein Sohn nickte verständnisvoll. „Hast Du Dir manchmal gewünscht“, fragte er, „dass Dein Leben anders verlaufen wäre, Dad?“
    Das gesunde Auge seines Vaters richtete sich auf Mike. „Nein. So wie es war, ist es wunderschön gewesen. Ich habe die Frau geheiratet, die ich liebe; auch wenn Mama das nicht immer geglaubt hat. Aber so ist das eben manchmal. Ich habe zwei gesunde Kinder, und mir etwas aufgebaut.“
    „Du bist ein guter Vater“, sagte Mike. „Das möchte ich Dir noch einmal sagen.“
    „Falls ich sterben sollte“, flüsterte Herbert, „werde ich ohne Angst gehen.“
    Plötzlich weinte er hemmungslos. „Tut mir leid“, flüsterte Mikes Vater.
    „Alles in Ordnung“, erwiderte der Sohn. „Lass’ alles raus.“
    „Aber ich müsste längst akzeptiert haben, was auf mich zukommt. Ich müsste doch weiter sein…“
    „Papa“, sagte Mike. „Ich will Dir eine Frage stellen. Wer ist weiter – derjenige, der nicht weint, weil er den Tod akzeptiert hat oder derjenige, der weint, weil er ehrlich zu seinen Gefühlen steht? Weiter sein… Was heißt das schon?“
    Sein Vater grinste. Herbert gewann die Fassung zurück. Er drückte Mikes Hand. „Du hast ja Recht. Ich weiß, dass ich von Deiner Oma und Deinem Bruder und allen anderen, die vor mir gestorben sind, abgeholt werde. Dieses Wissen tröstet mich sehr. Aber ich möchte Dir noch etwas Wichtiges sagen. Bitte stell mir das Kopfende vom Bett mal hoch.“
    Mike zuckte innerlich zusammen. Er spürte, dass ein Moment höchster Bedeutsamkeit gekommen war.
    „Diese Welt“, flüsterte sein Vater, als er aufrecht saß, „ist nicht gut organisiert, so wie sie ist. Die Menschen beschäftigen sich zu sehr mit der Vergangenheit, statt sich aufs Jetzt zu konzentrieren. Das habe ich während meines komischen Deliriums erkannt.“
    „Aber wir Menschen müssen doch aus den Fehlern unserer Vorfahren lernen“, entgegnete Mike leise. Noch ahnte er nicht, worauf sein Vater hinaus wollte.
    „Natürlich müssen wir aus den Fehler der Vergangenheit lernen“, flüsterte Herbert. „Aber wir behaupten immer, dass wir das tun, um unsere Zukunft besser zu gestalten. Verstehst Du den Denkfehler? Wir gucken fast immer nach hinten oder nach vorn – aber nicht aufs Jetzt! Wir wollen es besser machen als früher und die Zukunft gleichzeitig absichern… Dabei bleibt das Heute fast immer auf der Strecke!“
    Ernst sah er seinen Sohn an. „Du bist doch ein Journalist. Was fällt Dir auf, wenn Du Zeitungen liest oder den Fernseher anschaltest?“
    „Sie sind voller Nachrichten…“
    „Was für Nachrichten?“
    „Nachrichten, die uns darüber informieren, was in der Welt passiert.“
    Sein Vater schüttelte den Kopf. „Fast alle Nachrichten sind negativ“, flüsterte er. „Täglich werden wir überflutet von schlechten Meldungen. Angeblich sollen wir dadurch erkennen, wie nahe Gefahren schon an uns herangerückt sind – im geographischen Sinn. Nachrichtensprecher erzählen uns täglich von Kriegen, Bombenanschlägen, Kindesmissbrauch und wer sich im Dschungelcamp angefeindet hat. Die Menschen leben unter einer Glocke der Unglücksfälle und

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