Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
Vom Netzwerk:
mehr aufstehen. Ich bin bereit. Ich habe mit allem abgeschlossen. Oder ob ich doch mal runtergehe? Nein, es führt ja doch zu nichts… Was meinen Sie?“
    Die Hundezüchterin schnappte sich einen Stapel Illustrierte.
    „Die hat mir“, sagte sie unwirsch, „eine Freundin vorbeigebracht. Sie meinte, ich solle etwas lesen. Das würde mich auf andere Gedanken bringen. Aber schauen Sie doch mal – in fast allen Artikeln geht es wieder um das Thema.“
    Sie reichte Mike die Zeitschriften, in denen sie Passagen aus unterschiedlichen Interviews mit einem grünen Stift markiert hatte.
    „Diese Promis“, schnaubte die Hundezüchterin verächtlich. „Die philosophieren alle über den Tod, obwohl sie keinen blassen Schimmer davon haben. Als ob es reicht, vor der Kamera zu sterben und sich in einem Tatort abknallen zu lassen. Angeblich killt Til Schweiger in seinem Debüt- Tatort drei Menschen in zehn Minuten. Leider wird dieser tolle Film erst in zwei Wochen ausgestrahlt. Ich würde ihn so gerne noch sehen. Pah! Mich sollten die Filmemacher mal nach dem Sterben fragen! Ich könnte ihnen eine Menge über den Tod erzählen.“
    Mike blätterte sich durch den Stapel. Mehrere der Interviewten hatte er bereits selbst getroffen. Er überflog die Artikel, über die sich Marisabel empörte und seufzte. „Ich finde, dass es gar nicht so dumm ist, was die Promis über den Tod sagen. Wenn man genau hinschaut, finden sich in den Interviewpassagen alle Phasen wieder, die auch die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross benannt hat.“
    „Ja?“, fragte Frau Prinz interessiert.
    Mike griff zu einem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen , der die Überschrift Eine Sehnsucht, die du nicht benennen kannst trug. Er las laut vor, was die Schauspielerin Iris Berben über den Tod dachte: „ Der Tod macht mich wirklich wütend. Weil ich dabei sein will. Ich will weitermachen. Ganz banal. Diese ewige Forever-Young-Geschichte meine ich nicht, das ist ein Missverständnis. Ich meine es als Gedanke. Was in den 60 Jahren meines Lebens alles um mich herum passiert ist, was möglich geworden ist, was entwickelt und entdeckt wurde – ich würde einfach wahnsinnig gerne wissen, wie es weitergeht. Vor hundert Jahren haben Leute gesagt, ein Auto würde nie Bestandteil des Lebens werden .“
    „Interessant?“, sagte Marisabel. „Aber wo in dieser Passage soll die Theorie der Sterbeforscherin zu erkennen sein?“
    „In Iris Berbens heutiger Wut auf den Tod könnte sich theoretisch die Wut auf den Tod widerspiegeln, die Elisabeth Kübler-Ross analysiert hat“, meine Mike.
    „Stimmt, das kann man so sehen“, meinte Marisabel. „Ich bin ebenfalls wütend auf den Tod, und ich bin ungefähr so alt wie Frau Berben. Aber sagen Sie mal ehrlich, Mike, kann man auf das Gerede von Prominenten überhaupt was geben? Warum wird immer so ein großes Bohai darum gemacht, wenn VIPs etwas sagen? Was Otto Normalbürger sagt, ist doch genau so viel wert…“
    „Klar! Aber Promis sind wie moderne Helden, an denen sich Millionen von Menschen orientieren können – oder auch nicht. Ihre Lebensgeschichten sind öffentlich zugänglich, und wir können aus ihren Erfolgsgeschichten oder Abstürzen manches lernen. Das zumindest ist die Theorie, die dahintersteht. Schauen Sie mal, Frau Prinz!“
    Mike zog einen weiteren Artikel hervor. „Hier äußert sich Armin Mueller-Stahl in einem Interview mit Super-Illu über das Sterben. Er glaubt, dass der liebe Gott dafür sorgt, dass man in einem gewissen Alter die Lust aufs Leben verliert. Das ist die Weisheit des Alters – und die Akzeptanz des Todes.“
    „Ich wäre gern uralt geworden“, entgegnete die Hundezüchterin.
    „Aber ewig möchten Sie doch auch nicht leben, oder? Und dabei zusehen, wie all Ihre Lieben verschwinden?“
    „Nein“, gestand Frau Prinz. Sie griff mit spitzen Fingern nach dem Magazin Der Spiegel . „Da war doch irgendwo… ein interessanter Report drin. Hier ist er ja! Er heißt Das allerhöchste Brimborium . Schauen Sie mal, Mike. Der Schriftsteller Martin Walser sagt, dass das Sterben die höchste Unfreiwilligkeit sei – und dass er jeden beneide, der es geschafft hätte. Walser kann sich den eigenen Tod partout nicht vorstellen. So geht es mir auch! Ich muss mich fügen, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Ich würde so gerne zurückkommen, und allen Menschen erzählen, wie es ist, zu sterben und ausgelöscht geworden zu sein.“
    In diesem Moment dachte Mike an seinen Vater, der

Weitere Kostenlose Bücher