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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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wir zum Beispiel Herrn Montrésor. Er wohnte gegenüber von den Knopinskis – in Zimmer 3. In der Todesnacht litt Montrésor unter Halluzinationen. Im Delirium stammelte er, dass einer der Pfleger ein sexuelles Verhältnis mit seiner Frau habe. Davon hat mir Bruno erzählt. Montrésor glaubte, dass seine demenzkranke Gattin und der Pfleger mit Lichtsignalen kommunizierten. Das ist ein Anzeichen für Paranoia. Montrésor könnte Knopinski in verwirrtem Zustand getötet haben. Vielleicht hat er sich aus Knopinskis Drohung und seinen eigenen Ideen eine Verschwörungstheorie zusammengebastelt.“
    Mike machte sich eine weitere Notiz. „Interessant“, sagte der Journalist. „Was ist mit den anderen Gästen?“
    „Omi war die Zimmernachbarin der Knopinskis. Sie wohnte links von dem uralten Ehepaar. Frau Krause konnte es überhaupt nicht egal sein, ob der alte Knopinski etwas gegen sie in der Hand hatte – schließlich glaubt sie, dass sie wieder gesund wird. Wenn die Blätter wieder an den Bäumen sind , sagte sie einmal, dann bin ich wieder zuhause . Doch es wird noch interessanter, Mike. Wir können nicht mal die Menschen im Rollstuhl als potenzielle Mörder ausschließen.“
    „Warum nicht?“
    „Wenn Sonja Merkel ein Motiv hatte, und früher mal gemordet hat, könnte Mutter Merkel ihre Handlangerin sein – genau wie die Gattin von Professor Pellenhorn, falls Berthold ein Mörder ist.“
    „Aber könnte den Schmuck nicht auch jemand gestohlen haben, der den Knopinskis nicht nach dem Leben trachtete und das uralte Ehepaar bereits tot vorgefunden hat?“
    „Daran habe ich auch schon gedacht“, meinte Minnie. „Vielleicht jedoch wurden die Knopinskis aber auch von einem anderen Täter mit Geldproblemen ermordet. Ich habe gehört, dass sich die junge Mutter aus Zimmer 11 in der Todesnacht Drogen spritzte. Heroin ist eine kostspielige Sucht. Oder von Marisabel Prinz, die viele offene Rechnungen hat und mit Mahnungen überschüttet wird.“
    Mike sah Minnie ratlos an. „Wie kann ich Ihnen konkret helfen? Wie soll ich auf die Leute zugehen? Ich kann schließlich schlecht an die Zimmertüren der Gäste klopfen, um sie zu befragen – außer bei Annette und Angie. Das lesbische Paar kenne ich schon seit Jahren.“
    „An Ihrer Stelle würde ich bei allen anklopfen“, antwortete die alte Dame.
    „Warum rufen wir nicht die Polizei?“
    Minnie atmete tief aus. „Die glaubt uns niemals. Schließlich sterben täglich Menschen im Hospiz. Außerdem werden Gäste, die das Zeitliche segnen, in den seltensten Fällen gerichtlich obduziert. Also fehlt uns jeder Beweis. Nein – das müssen Sie erledigen, indem Sie gute Interviews mit den Gästen führen. Wie bereiten Sie sich normalerweise auf ein Interview vor?“
    „Ich denke mir ein Thema aus“, verriet Mike – „und beginne anschließend eine normale Konversation darüber. Würde ich zum Beispiel eine Schauspielerin wie Iris Berben interviewen, die gerade für Die Kronzeugin – Mord in den Bergen vor der Kamera gestanden hat und im Film eine neue Identität erhält, würde ich das Interview mit der Frage eröffnen, wie schwer ihr ein echter Identitätswechsel fiele, was sie über die vom BKA vorgegebenen Spielregeln denkt und wann sie gesellschaftliche oder private Spielregeln schon mal gebrochen hat. Wenn ich hingegen ein Geburtstagsinterview mit einer öffentlichen Person führe – etwa mit einem Politiker, würde ich ihn fragen, wie ein Filmtitel lautete, der sein Leben beschriebe. Aus solchen Antworten ergeben sich unzählige Anschlussfragen. Würde der Politiker erwidern, dass sein Leben Der große Blonde mit dem schwarzen Humor hieße, könnte ich nachhaken, worüber er lachen kann, mir seinen Lieblingswitz erzählen lassen – und abklopfen, wie gern er schadenfroh ist, wenn andere Politiker sich blamieren.“
    Minnie verstand, was ihr der Journalist sagen wollte. „Bitte noch ein Beispiel“, sagte die alte Dame.
    „Okay. Würden die Moderatoren einer Reality-Fernsehshow wie Ich bin ein Star – holt mich hier raus! vor mir sitzen, würde ich sie nicht nur, was zu erwarten wäre, zu ihrer persönlichen Moral, den Grenzen des guten Geschmacks und der Lust an der Vorführung anderer Menschen befragen, sondern ihnen obendrein Namen von Stars vorschlagen, die theoretisch ins Dschungelcamp ziehen könnten und mir anschließend die Kommentare der Moderatoren anhören. Daraus kann man Rückschlüsse über ihren Charakter ziehen. Am besten gelingen jene

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