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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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– mit der Gewissheit, dass ihr eines Tages ein ähnliches Schicksal blühen würde. Oder wie der gewalttätige Gatte nur zum Schein in ein Gefängnis kam, weil die deutsche Presse eine Aufklärung des vermeintlichen Verbrechens verlangte. Oder wie Gololais Schwiegervater einen Handschuh zerriss, der im Innenhof seines Hauses lag und sich als die abgepellte Haut der Sterbenden entpuppte – inklusive der farbigen Fingernägel. Oder wie Gololai, die auf ihrem Hochzeitsfoto strahlend schön aussah, sechs Tage unter Verbänden litt, weil sie alle Hautschichten verloren hatte. Und wie sie schließlich schmerzvoll starb und anschließend sofort eine neue Verbrannte in ihr Bett gelegt wurde.“
    Minnie fehlten die Worte. Sie hatte Antonia Rados’ Reportage Feuertod im Fernsehen gesehen, sie aber längst vergessen. „Und was haben Sie in Österreich über den Tod gelernt?“, fragte die alte Dame.
    „Dort habe ich meine interessanteste Erfahrung gemacht – eine Rückführung.“
    „Was ist das?“, fragte Minnie neugierig.
    „Bei Salzburg“, erklärte ihr Mike, „lebt eine Frau namens Ursula Demarmels, die Menschen in Trance versetzen kann und sie in frühere Leben zurück führt. Das klingt verrückt, aber bei mir hat es geklappt. Legt man sich auf ihre Couch und wird hypnotisiert, kann man eintauchen in eines seiner angeblichen Vorleben und es sich wie einen richtigen Film anschauen.“
    „Das haben Sie gemacht?“
    „Ja – für eine Reportage. Es war ein unheimlich schönes Erlebnis.“
    „Ich möchte jede Einzelheit hören!“
    „Vor meiner Rückführung erklärte mir Ursula, die unglaublich naturverwandt ist und mit ihrem Mann und ihren Katzen mitten in der Natur lebt, dass jeder Mensch unzählige Vorleben habe – gute, aber auch schlechte. Laut ihrer Theorie haben wir alle schon mehrmals gelebt, zum Beispiel als Nazi, Amazone, Opfer, Mörder, Stammeskriegerin, Nonne oder Wikinger. Angeblich ist alles möglich – genau wie ein ständiger Wechsel der Geschlechter. Sie erklärte mir, dass eine Rückführung ungefährlich ist. Dann begann meine eigene Trance.“
    „Und was haben Sie gesehen?“
    „Kaum war ich in Trance, ließ Ursula eine Vision entstehen, in der ich auf einer grünen Wiese lag. Anschließend schwebte ich hinauf zum Himmel. Dort war plötzlich ein Wesen neben mir.“
    „Wer war das?“, fragte Minnie erstaunt.
    „Mein angeblicher Seelenführer“, antwortete Mike. „Laut Frau Demarmels’ Theorie hat jeder Mensch einen Seelenführer – ein Wesen, dass ihn durch alle Zeiten und alle Räume und alle Leben begleitet. Er stünde uns immer treu zur Seite. Der Seelenführer verließe uns erst, wenn unsere eigene Seele nach unzähligen Leben fertig sei. Dann würden wir selbst einer für einen anderen Menschen.“
    „Wer oder was war Ihr Seelenführer?“
    „Ein Pelikan“, sagte Mike lächelnd. „Ein wunderschöner, weißer Pelikan, an dessen Seite ich mich unglaublich geborgen fühlte. Gemeinsam schwebten wir durch ein zeit- und raumloses Gebilde, bis mich Ursula bat, oben an einer Treppe mit 37 Stufen eine Rast einzulegen. Jede dieser Stufen stand für eines meiner damaligen Lebensjahre. Ich hörte, wie mir die Stimme der Rückführerin befahl, die Treppe langsam hinunter zu gehen und anzuhalten, wenn ich es wollte.“
    „Taten Sie es?“
    „Ja – auf Stufe 15, auf Stufe acht und auf Stufe null.“
    „Und… was sahen Sie?“
    „Verschüttete Erinnerungen. Auf Stufe Null – in ungeborenem Zustand – sah ich meine Mutter von innen, wie sie wenige Tage vor meiner Geburt in einem kleinen Wohnzimmer hockte. In meiner Vision war es ein wahnsinnig schwüler Sommertag. Meine Mum trug ein zitronengelbes Schwangerschaftskleid.“
    „Gab es dieses Kleid tatsächlich?“
    Mike sah Minnie tief in die Augen. „Ja. Deshalb fiel meine Mutter auch aus allen Wolken, als ich ihr davon erzählt habe.“
    „Das ist ja unglaublich. Wie ging es weiter?“
    „Ursulas Stimme navigierte mich zu einem Tunnel mit unzähligen bunten Schubladen. Sanft schwebten mein Pelikan und ich hinein. Drinnen sollte ich willkürlich irgendeine Schublade öffnen. Sie würde ein Vorleben enthalten, das mir viel über mich selbst verraten würde. Also zog ich eine heraus…“
    „Und?“
    „Ich sah braune Füße im heißen Sand und erkannte, als ich an mir hochsah, dass ich ein junger Syrer war, der in einer Stadt namens Latakia lebte. Man schrieb das Jahr 1061 nach Christus, und ich hieß Theosyphus. Meine Eltern

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