Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
dreizehnten Gast?“
„Nicht so weit ich weiß. Warum?“
„Weil ich ihn zweimal beobachtet habe – und er in der Nacht von Knopinskis Tod im Gang vor dessen Zimmer herumschlich! Er sah so unheimlich aus! Ich konnte nur einen kurzen Blick auf ihn werfen. Es war ein schmächtiger, fast haarloser Mann mit einer kindlichen Figur und einem uralten Gesicht.“
„Sind Sie sicher?“, fragte Mike ungläubig. „Wir wohnen schon seit Wochen hier. Aber ich habe noch nie jemanden gesehen, auf den diese Beschreibung zutrifft – weder einen Gast noch einen Angehörigen.“
Minnie bejahte. „Ich habe ihn genau gesehen. Beide Male hatte er es verdammt eilig, sich aus dem Staub zu machen. Deshalb kann ich nicht mal sein Gesicht beschreiben.“
Seufzend blickte die alte Dame aus dem Fenster – und erschrak zu Tode. Just in diesem Moment saß der unbekannte Greis auf der Bank vor dem Haus. Er war schmächtig, haarlos und runzlig. Seine Augen erinnerten Minnie an schwarze Höhlen. Der Blick des furchterregenden Wesens war voll auf sie gerichtet. Anscheinend hatte es sie die ganze Zeit beobachtet. Es kräuselte die Lippen und lächelte bösartig. Es sah aus wie ein Teufel – oder der gemeine Mörder in dem Gruselfilm Wenn die Gondeln Trauer tragen . Instinktiv schloss die alte Dame die Lider und schrie vor Todesangst.
„Dort draußen!“ Minnies Stimme schnappte fast über. Mit zitternder Hand wies sie zum Fenster.
Erschrocken blickte Mike hinaus. „Was ist da? Was haben Sie gesehen, Minnie?“ Der junge Mann war ernsthaft besorgt.
„Da ist er!“ Minnie wollte ihre Augen öffnen, doch sie gehorchten ihr nicht.
„Wer?“, rief Mike. „Ich sehe nichts!“
Zaghaft blinzelnd hob die alte Dame ein Lid – und sah, dass der unheimliche, bösartige Kindgreis am Ende der Auffahrt stand. Zielstrebig bog er um die Ecke. Zu ihrem Pech stand der Fremde genau in Mikes toten Winkel.
„Bitte glauben Sie mir“, sagte die alte Dame zitternd. „Da draußen saß dieser furchteinflößende Mann, den ich schon zweimal gesehen habe. Er hat mich direkt angesehen – mit schrecklichen, seltsamen Augen! Diesen Blick werde ich niemals vergessen. Ich bin mir sicher, dass er ein Teufel ist!“
„Ich hole Ihnen ein Glas Wasser“, sagte Mike einfühlsam. „Sie müssen sich beruhigen. Wenn er wirklich da war, hat es sich bestimmt nur um einen Besucher gehandelt.“
„Meinen Sie?“ Plötzlich schämte sich Minnie, dass ihre Nerven mit ihr durchgegangen waren. Schamesröte überzog ihre Wangen, und sie trank Mikes Wasser hastig aus.
„Die Monopoly-Partie sollten wir abbrechen“, meinte der Reporter besorgt. „Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich gewonnen hätte.“ Er klappte das Monopoly-Brett zusammen. „Jetzt werde ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Minnie.“
Der Reporter legte sein Diktiergerät auf den Tisch. „Erstes Interview mit Minnie über die Ereignisse in der Nacht des Todes von Knut und Gertrud Knopinski. Sind Sie bereit?“
Die alte Dame bejahte.
„Warum haben Sie mir die Ihrer Meinung nach seltsamen Geschehnisse in der Nacht vom 2. auf den 3. November anvertraut?“
„Weil ich Ihre Hilfe brauche.“
„Inwiefern?“
„Ich möchte, dass Sie Ihre Fühler ausstrecken und einigen Menschen auf den Zahn fühlen.“
„Warum ich?“
„Weil Sie Kriminalromane lesen, und ich nicht an Zufälle glaube. Sie sollen mein verlängerter Arm sein.“
„Wem soll ich auf den Zahn fühlen?“
„Allen, die am Tisch saßen, als Knut Knopinski sagte, dass er niemals ein Gesicht vergessen würde. Ich möchte wissen, welcher der Tischgäste früher schon einmal mit dem alten Mann zu tun gehabt hat. Ich weiß, dass Knopinski irgendjemanden wiedertraf, den er für einen Mörder hielt. Er besaß sogar ein Foto von dieser Person. Das hat ihn sein Leben gekostet.“
„Wer war alles anwesend, als er die Drohung im Esszimmer ausstieß?“
„Außer mir zehn Personen: Mutter Merkel und die krumme Sonja, Gertrud Knopinski, das lesbische Ehepaar, die Hundezüchterin, die Schönheitskönigin, Adolf Montrésor, Professor Pellenhorn und Kostja, der Koch.“
Trotz des laufenden Diktiergeräts notierte Mike die Namen und überflog die Liste.
„Die meisten dieser Menschen werden nicht mehr lange leben. Ich glaube, dass nur drei Menschen auf Ihrer Liste als Mörder in Betracht kommen – der Koch, Mutter Merkel und Angie Pfeiffer.“
Minnie legte die Stirn in Falten und widersprach vehement. „Das sehe ich anders. Nehmen
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