Die Flotte von Charis - 4
blieb dabei: Die Schriften untersagten es eindeutig nicht.
Und wenn diese Leute hier überleben wollen, dann werden sie innovative Lösungen für das Problem finden müssen, wie man sich verteidigt, wenn man im Verhältnis acht oder neun zu eins unterlegen ist.
Dieser grimmige Gedanke jagte Wylsynn einen mittlerweile bereits vertrauten Schauer über den Rücken. Zum Teil versuchte er sich weiszumachen, das sei nur der Versuch, sich das alles hier schönzureden, eine Möglichkeit, eine ungesunde und spirituell gefährliche Faszination an neuem Wissen zu rechtfertigen. Doch wann immer sich diese Versuchung regte, musste Wylsynn unwillkürlich an diesen entsetzlichen, völlig grundlosen Angriff denken, den Charis tatsächlich irgendwie hatte abwehren können.
Gewiss wollte oder erwartete Gott nicht, dass Seine Kinder hilflos dabeistanden, während ihre Familien ermordet und Häuser über ihren Köpfen in Brand gesteckt wurden! Unschuldige Menschen hatten alles Recht der Welt, nach geeigneten Mitteln Ausschau zu halten, sich gegen den Angriff eines anderen zur Wehr zu setzen, und was auch immer die Kirche offiziell verkünden mochte, Wylsynn wusste sehr wohl, dass dieser Angriff auf Charis völlig unberechtigt gewesen war. Nicht, dass es ihn sonderlich überraschte, wie in Zion und dem Tempel genau das Gegenteilige behauptet wurde. Es betrübte ihn, es widerte ihn an, das ja, aber es überraschte ihn nicht. Trotz seines eigenen tiefen, beständigen Gottvertrauens und Glaubens hatte sich Paityr Wylsynn niemals irgendwelchen Illusionen über die Verderbtheit und die Korruption der ›Vierer-Gruppe‹ und des ganzen Rates der Vikare hingegeben.
Nein, das ist nicht ganz richtig, herrschte er sich selbst an. Ein paar Illusionen hast du dir doch gegönnt, oder nicht? Zum Beispiel die Illusion, nicht einmal der Großinquisitor werde Anstrengungen unternehmen, ein ganzes Königreich einfach zu zerstören, bloß weil er sich darüber ärgerte.
Nachdem Clyntahn zu dieser Entscheidung gekommen war, hatte Wylsynn viel nachgedacht, gebetet und meditiert, und letztendlich war er zu dem Schluss gekommen, was hier in Charis geschehe, sei Gottes Wille. Wie unangenehm, wie … beunruhigend ihm Erzbischof Maikels Ansichten auch sein mochten, es bestand nicht der geringste Zweifel daran, der Erzbischof von Charis sei Gott deutlich näher als der Großinquisitor. Maikel Staynair mochte vielleicht irren, aber er war nicht böse … und genau das konnte Wylsynn über Zhaspahr Clyntahn und den Rest der ›Vierer-Gruppe‹ eben nicht mehr behaupten. Und um die Wahrheit zu sagen: Wylsynn war von Tag zu Tag mehr davon überzeugt, dass Staynair nicht einmal irrte. Was das mit sich brachte, und wie sehr das Wylsynns eigenes Verständnis der Schriften und deren inhärenten Lehren veränderte, war gewiss beängstigend, aber Gott hatte niemals versprochen, es werde einfach sein, Seinen Willen zu tun.
Und so saß Pater Paityr Wylsynn, Intendant von Charis, ordinierter Priester des Schueler-Ordens, nun hier in seinem Büro − in einem Gebäude, das ausdrücklich dafür gedacht war, Menschen dazu anzuhalten, sich neue Mittel und Wege zu überlegen, irgendetwas zu bewirken.
Er schüttelte den Kopf; dieser Gedanke brachte ihn dazu, die Lippen fast schon zu einem Lächeln zu verziehen. Dann stand er auf, ging zu einem seiner neuen Fenster hinüber und blickte in den Nachmittag hinaus.
Man hatte das Patentamt in einem Gebäude untergebracht, das zu Baron Ironhills Ministerium gehörte. Der Intendant der Zivilliste hatte in Charis mehr zu tun als in vielen anderen der Königreiche auf Safehold, und Ironhill hatte einen Großteil seiner Mitarbeiter zu Beginn dieses Jahres in ein deutlich größeres Gebäude umziehen lassen. Dieses Haus hier mochte ja für Ironhills Zwecke zu klein gewesen sein, doch es gab hier eine Vielzahl an Büroräumen − von denen zugegebenermaßen einige nicht viel größer waren als ein mittelgroßer Schrank −, in denen das neue Patentamt (das ebenfalls Ironhills Ministerium unterstand, zumindest derzeit noch) die zahlreichen Schreiber unterbringen konnte, die es gewiss schon bald benötigen würde. Zudem war es von alten Fasteichen und Föhren umstanden, die willkommenen Schatten spendeten.
Und auf dem niedrigen Wall, der es von allen Seiten umgab, patrouillierten Tag und Nacht Angehörige der Marines − bewaffnet mit Gewehren.
Wylsynn schürzte die Lippen, als er bemerkte, wie die Nachmittagssonne auf den Bajonetts der
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