Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
gewandert war, kümmerte sich Vitus Fips seit einigen Tagen besonders ausgiebig.
Er tat dies nicht aus Nächstenliebe.
Das war eine ihm völlig fremde Gemütsregung. Nein, Fips hatte einen anderen, einen besseren Grund.
Der Pilger, ein etwa vierzigjähriger, kräftiger Holzfäller, lag im Sterben. Die durch eine mit Nägeln versehene, neunschwänzige Peitsche selbst zugefügten Wunden an seinem Rücken hatten sich zum Teil so stark entzündet, dass bereits ein Brand entstanden war und sich sogar Maden in einigen der offenen Stellen eingenistet hatten. Sein Fieber war hoch, er sprach wirr, verkrampfte Hände und Füße zu Klauen, doch der Tod wollte noch nicht kommen. Und das war gut so, denn Vitus Fips musste noch einiges in Erfahrung bringen, bevor sein Gast aus Mähren dahinschied.
Also pflegte und hegte er den siechen Mann, so gut es ging, und die an der Pilgerstätte lebenden Geistlichen waren mit dieser sorgfältigen, hingebungsvollen Arbeit ihres Schützlings sehr zufrieden.
Denn das, was die Mönche einst ihm getan hatten, das sollte er nun anderen tun. So lauteten die Erwartungen, welche die Gottesmänner in Vitus Fips setzten, den sie vor einem Jahr blutüberströmt und halbtot im Wald aufgefunden hatten. Sie hatten den anscheinend von Räubern übel zugerichteten Mann mühevoll gesundgepflegt und ihm danach gestattet, bei ihnen zu bleiben, um in ewiger Dankbarkeit geschwächten Pilgern nun seinerseits seine pflegende Hilfe anzubieten.
Fips tat, was man von ihm erwartete, obwohl es ihn anwiderte. Doch das ließ er sich nicht anmerken, vielmehr wartete er geduldig auf einen günstigen Moment. Bis dahin wollte er hier bei den Mönchen noch weitere Kraft schöpfen, um schließlich bereit für die Fortsetzung seines wahren Lebens zu sein. Und mit diesem mährischen Holzfäller war nun ein solcher Moment gekommen. Das Waschen von eitrigen Wunden, das Reinigen verkoteter Leiber, das Flicken stinkender Lumpen hatte sich tatsächlich gelohnt. Vitus Fips war sehr zufrieden.
» Ich wollte ihn nicht töten! « , stöhnte der Mann aus Mähren kraftlos.
Fips verdrehte die Augen. Diesen Satz hörte er nun schon zum hundertsten, nein, zum tausendsten Male, dabei war es etwas ganz anderes, was er aus dem Pilger, Wenzeslaus mit Namen, herausbringen wollte.
» Es war die Wut. Die Wut… « , stöhnte der Fiebernde weiter, während Fips versuchte, ihm einen heißen Kräutertrank einzuflößen. Sie waren allein in einer der bescheidenen, aus unbearbeiteten Ästen gefertigten Hütten der Mönche, fernab von den übrigen, an den Felsen betenden und ruhenden Menschen.
» Ja, es war die Wut « , bestätigte Fips gelangweilt die Worte des Kranken. » Ich weiß, dass du deinen Nachbarn nicht töten wolltest. Doch es ist geschehen, und nun hast du deine Buße getan. Mehr noch, dein eigenes Leben wirst du geben für diese Tat. Das ist mehr, als Gott von dir verlangt hat. Glaube mir, Wenzeslaus, dein letzter Weg wird dich in den Himmel führen. Das ist gewiss. «
Der Holzfäller lächelte und griff mit seinen sich immer wieder verkrampfenden Fingern nach der verkrüppelten Hand seines Heilers.
» Du bist ein guter Mensch, Bruder Vitus. Ich bin froh, dich hier angetroffen zu haben. Mein Geheimnis ist gut bei dir aufgehoben. «
Fips nickte. Ein ungeduldiger, gieriger Zug huschte über sein entstelltes Gesicht, doch er fing sich schnell und setzte stattdessen eine sanfte, mitfühlende Miene auf.
» Ich verspreche dir, Wenzeslaus, die Kunde von deinem Tod und von deinem geheimen Fund an dein Weib und deine Kinder weiterzugeben. Doch du solltest mir noch einiges darüber berichten, denn ich fürchte, dass ein törichtes Weib und unmündige Bälger mit einer Karte allein nur wenig anzufangen wissen. «
Fips griff unwillkürlich an seine graue Laienbruderkutte, unter welcher er im Hüftbereich erleichtert das eingerollte Stück Pergament spürte, das er sich mit einem Strick an den Leib gebunden hatte. Es handelte sich dabei um die Karte, die Wenzeslaus in der letzten Nacht unter großen Mühen und unter ständigem Antreiben seines Pflegers gezeichnet hatte. Eine Karte, die im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert war.
» Ja, du hast recht. « Der Holzfäller blickte Fips mit blutunterlaufenen Augen an, seine Lippen waren trocken und gerissen, sie zitterten stark. Fips starrte erwartungsvoll auf diesen Mund, aus dem er nun neue, wichtige Informationen erwartete.
Doch es kam nichts. Nur ein erneutes, qualvolles Stöhnen.
Eine
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