Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
Vom Netzwerk:
fragte Johann.
    » Euer Zeitvogel? «
    » Ja, er ist von Gott gesandt. Wenn er erscheint, dann heißt das, der Frondienst ist vorüber, und wir Bauersleut dürfen nach Hause gehen. «
    » Ach? « Der Meier blickte erstaunt in die Runde, doch da alle wie selbstverständlich nickten, wagte er diese Aussage nicht in Zweifel zu ziehen.
    » Ja, der kam schon zu den Zeiten unserer Vorväter, als es noch die Fronarbeit gab. Lange Jahre war er fort, doch nun, da wir wieder für die Herren schaffen müssen, ist er erneut aufgetaucht. Bös kann er werden, wenn man ihm nicht Folge leistet. «
    » Ach « , wiederholte der Meier nur.
    » Meine Großmutter wusste zu berichten, dass er gar einem Meier, der ihn nicht hatte beachten wollen und die Bauern zur weiteren Arbeit antrieb, beide Äugelein ausgehackt habe. « Mit diesen Worten näherte sich Johann dem Meier und machte mit beiden Zeigefingern eine leichte Hackbewegung.
    » Jetzt übertreibt er es « , flüsterte Ulrich Marie ins Ohr, die gebannt der Szene folgte.
    » Ob das gutgeht? « , bestätigte sie die Bedenken ihres Gemahls. Doch es ging gut. Der Meier ließ die Bauern ziehen, die Krähe flog fort, die Garben lagen noch einen weiteren Tag sowie eine weitere Nacht im Nieselregen. Und das Übel, welches sich ohnehin schon in ihnen eingenistet hatte und bezüglich dessen die Menschen ahnungslos waren, konnte weiter prächtig gedeihen.
    » Es wird schwer, unser aller Mäuler in diesem Winter zu stopfen « , sagte Ulrich leise, seine stumpfe, alte Sense tragend. Marie und er passierten soeben ein schmales Waldstück, durch welches ein Weg von den Feldern des Grundherrn zurück zu ihrer bescheidenen Kate führte. » Die von der Burg werden ihren ritterlichen Pflichten nachkommen müssen und für uns Bauern ihre Speicher öffnen. Machen sie es nicht, dann wird es Hungertote geben. Lutz Rotschopf– du weißt, der mit den neun Kindern–, er hat von seinem Rübenacker nicht einen Schubkarren voll geerntet, und die wenigen Rüben, die er aus dem Boden geholt hat, waren klein, schrumpelig und bereits völlig zerfressen. Bei uns wird es nicht anders sein, ich fürchte mich schon davor. Zumal unser Acker die meiste Zeit im Schatten liegt. Ginge es in diesem verregneten Jahr darum, Moos einzufahren, ich wäre ein reicher Mann. «
    Bei diesen Worten legte Ulrich sein ohnehin schon runzeliges Gesicht in noch tiefere Sorgenfalten. Marie blickte ihn von der Seite mitleidig an. Sie hatte ihn wirklich gern, diesen Bauern Filzhut. Er war ein guter Mensch, der beste, der ihr je im Leben begegnet war. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass seine Befürchtungen unbegründet waren. Denn das schlechte Gewissen plagte sie, wenn sie daran dachte, sich in dem bevorstehenden entbehrungsreichen Winter ein weiteres Mal bei einer armen Familie durchzuschlagen und mit den ohnehin mageren Kindern das wenige Brot zu teilen, um dann womöglich bereits im Frühjahr Lebewohl zu sagen.
    Doch mit einem Mal verschwanden diese trüben Gedanken, und Marie musste lächeln.
    » Vater, Stiefmutter, da seid ihr endlich! « Ein fröhliches Mädchen kam ihnen lachend mit bloßen Füßen durch den Schlamm entgegengerannt und stürzte sich sogleich in Maries Arme. » Ein Mönch ist unten im Waldgrund im sumpfigen Weiher stecken geblieben. Wir haben ihm gemeinsam mit einem langen Stock herausgeholfen. Und sieh an, was er uns zum Dank geschenkt hat! «
    Aus ihrer Rocktasche zog die Zehnjährige drei blankpolierte, mächtig große, rote Äpfel, die in ihrer Üppigkeit und Schönheit im schier grotesken Widerspruch zu den grauen, mageren Menschen und dem modernden, mickrigen Korn am Wegesrand standen.
    » Wir wollten mit der Überraschung auf euch warten und sie mit euch teilen, wenn ihr nach Hause kommt « , sagte das Kind, Gretchen mit Namen, freudestrahlend und wandte sich dabei nach einem weiteren Kind, einem kleinen Jungen von sechs Jahren, um, der nun ebenfalls auf dünnen, aber äußerst flinken Beinen angerannt kam und sein schmutziges Gesichtchen lachend in Maries Schürze verbarg.
    » Was hast du ausgefressen, Toni? « , fragte Marie, ging in die Hocke und blickte den kleinen Schelm nur scheinbar streng an.
    » Toni war es, der den Mönch so sehr erschreckt hat, dass er in den Sumpf gefallen ist. Mit seiner Steinschleuder hat er auf ihn geschossen « , verpetzte nun Grete ihren kleinen Bruder.
    » So etwas macht man doch nicht mit einem Gottesmann, du kleiner Raubritter « , schimpfte Marie, konnte

Weitere Kostenlose Bücher