Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
entsetzliche Wut breitete sich in Fips aus. Am liebsten hätte er diesem stinkenden, tumben Kerl den Schwamm, den er nun in Händen hielt, aufs Gesicht gedrückt, damit er endlich erstickte und seinem langweiligen Leiden ein Ende gesetzt war. Doch stattdessen beherrschte sich Fips und wrang den Schwamm über den Lippen des Kranken aus, benetzte diese somit mit Wasser und hoffte, dass Wenzeslaus nun zum Weitersprechen in der Lage war.
Ja, er war es.
» Der Eingang der Höhle liegt in einer tiefen, engen Schlucht, Dachsschlucht genannt « , flüsterte er leise und langsam. » So tief und eng ist sie, dass bislang niemand dort hineingestiegen ist. Außerdem, so heißt es, sei der Ort verwunschen. Keine Menschenseele wagt sich freiwillig dorthin. Beim Holzfällen verirrte ich mich und stürzte tief hinein, überlebte glücklich und fand dort unten die Höhle. Sie ist voller Golderz. Riesige Klumpen. «
» Wem gehört das Land? « Wieder benetzte Fips die Lippen des Pilgers.
» Dem Bischof. Doch er weiß nichts von seinem Glück. Das Bergregal obliegt jedoch nicht dem Grundherrn, sondern dem König von Böhmen. «
» Das heißt, dass alles Gold, was man dort findet, dem König Karl zukommt. « Fips kratzte sich nachdenklich am Kinn.
» Nicht, wenn er nichts davon weiß « , ächzte Wenzeslaus und verdrehte besorgniserregend die Augen. Fips begann den Pilger zu schütteln, wobei er ihn immer wieder mit dem wunden Rücken gegen den Strohsack stieß, auf dem er lag. Der schreckliche Schmerz ließ ihn wieder erwachen.
» Du sagst, die Schlucht sei so abgelegen, dass niemand sie finden kann? Und selbst wenn man an ihrem Rande steht, kann man die Höhle von oben nicht erkennen? «
» So ist es. «
» Keiner ahnt, dass dort Gold zu finden ist? «
» Einige Meilen nordöstlich graben sie wie die Verrückten. Aber dort, an der Stelle, die ich gefunden habe, dort sucht man nicht. «
» Die Leute des Grundherrn gelangen dort niemals hin? «
» Es gibt keinen Weg. Nicht einmal einen Pfad. «
» Deine Frau und deine Kinder könnten das Gold also heimlich herausholen? Niemand würde es bemerken? «
Wenzeslaus nickte und schloss seine geröteten Augen vor Erschöpfung, doch Fips bohrte weiter.
» Werden sie das denn können? Sollte man ihnen nicht helfen? «
» Sie können niemanden aus der Gegend anheuern. Das ist zu gefährlich « , stammelte Wenzeslaus nur noch unverständlich.
» Man benötigt also ortsfremde Bergleute, die mit keinem aus den umliegenden Dörfern zu tun haben und im Zweifelsfall den Mund halten. Das sollte gelingen. « Fips sagte dies mehr zu sich als zu dem Kranken, dessen Kopf nun zur Seite kippte. Er schien bewusstlos geworden zu sein.
» Ja, das ist gut « , murmelte Fips nun äußerst zufrieden grinsend. » Vielen Dank, Wenzeslaus. Mehr muss ich nicht wissen. «
Wieder griff Fips zum Schwamm.
Doch dieses Mal nicht, um dem Pilger die trockenen Lippen zu befeuchten. Nein, er vollendete jetzt, was er sich ohnehin vorgenommen hatte, sobald es ihm endlich gelungen war, alles Notwendige in Erfahrung zu bringen. Fips musste nicht besonders fest zudrücken.
» Ruhe in Frieden, mein goldbringender Freund « , lachte er, nachdem Wenzeslaus’ letzte, schwache Zuckungen aufgehört hatten.
Fips war sehr glücklich, als er mit einer seiner zahmen Ratten auf der Schulter hinaus ins Freie trat und die von einem Regenschleier verhangenen Externsteine betrachtete. Endlich hatte er wieder ein Ziel. Er würde leben, reich sein und neu beginnen– mit Marie an seiner Seite. Seit nunmehr einem Jahr träumte er davon. Er hatte gelernt, sie zu vermissen, hatte erfahren müssen, wie sehr er sich doch nach ihrer Anwesenheit sehnte. Er wusste, wo sie war, hatte es längst herausgefunden und sie mitunter beobachtet. Sie gehörte zu ihm, sie würde mit ihm gehen müssen, und spätestens dann, wenn er im Altvatergebirge aus ihr ein Goldmariechen gemacht hätte, würde sie auch freiwillig bei ihm bleiben.
Doch alles zu seiner Zeit.
Erst einmal mussten sämtliche weiteren Fäden zu einem ausgefeilten Plan verknüpft werden, bei dessen Ausführung Fips lediglich der Puppenspieler im Hintergrund zu bleiben trachtete. Denn die Drecksarbeit sollten andere für ihn erledigen.
III
N imm nicht so viele Garben für ein Bündel, Marie. «
Marie ließ sich von dem jungen Johann gern das Bündel mit dem geschnittenen Roggen aus der Hand nehmen. Er zeigte ihr, wie sie es geschickt binden konnte, damit der Meier in der
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