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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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weiter.
    «Ja. Achtundneunzig, am fünfzehnten dritten. Lebertransplantation.»
    Sie nickte. Patrik reckte die geballte Faust in die Höhe.
    «Yes! Mann, das hätten wir geklärt!»
    Sibylla fühlte sich ebenfalls obenauf, wenn sie auch schon einen Schritt weitergedacht hatte. Was hatten sie denn eigentlich geklärt? Sie hatten herausgefunden, dass sich wahrscheinlich alle Opfer einer Transplantation unterzogen hatten. Doch was bedeutete das? Wer wollte vier einstmals schwer kranke Menschen umbringen?
    Patrik lächelte noch immer hinter seiner Stahlbrille.
    «Ich gehe runter und erzähle es meiner Mutter!»
    «Spinnst du?»
    «Warum denn? Wir haben doch das Motiv gefunden!»
    «Aha. Und was ist das Motiv?»
    Patrik schwieg und sein Lächeln wich einer Falte zwischen den Augenbrauen.
    «O Mann!»
    «Genau.»
    Sie setzten sich auf die Isomatte. Der Dachboden war ausgekühlt, und Sibylla schlug sich den Schlafsack um die Schultern.
    «Ist deine Mutter denn zu Hause?», fragte sie und streckte die Hand nach dem Brot und dem Dünnbier aus. «Sie sollte doch vor heute Abend gar nicht zurück sein.»
    Patrik schlug die Augen nieder.
    «Sie ist krank geworden», sagte er leise.
    Die Minuten schleppten sich hin. Er hatte sie gebeten mit- zukommen, aber sie hatte sich geweigert. In seine Wohnung würde sie nicht noch einmal gehen. Schon gleich gar nicht, wenn seine Mutter im Zimmer nebenan lag.Als er zurückkam, brachte er einen ganzen Stapel Papier mit.
    «Ich habe so viel wie möglich ausgedruckt, aber dann war das Papier alle», sagte er und setzte sich neben sie. «Möchtest du eine Banane?»
    Sie nahm die Banane und schälte sie gleich. Es war das reinste Luxusleben. Sie würde bald total verwöhnt sein.
    Sie nahm das oberste Blatt von dem Papierstapel.
    Organspenden — Antworten auf die häufigsten Fragen.
    Tief konzentriert lasen sie in der Hoffnung auf eine Eingebung den Stapel durch. Patrik lag auf der Isomatte und Sibylla hatte in einer offenen Bodenkammer einen alten Sessel gefunden.
    Kann jemand Ihre Nieren bekommen, wenn Sie sterben?
    Diese Frage stand ganz oben auf dem eben aufgeschlagenen Blatt. Sie las weiter und begriff, dass viel geschehen war, seit sie aus dem System ausgestiegen war. Einen Spenderausweis hatte sie ganz bestimmt nicht ausgefüllt, aber den brauchten unauffindbare Personen vielleicht gar nicht. Sie fragte sich, was passieren würde, wenn sie verunglückte. Auf ihre sterblichen Reste würde niemand Anspruch erheben. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht. Wo wurden Leute wie sie begraben? Leute, von denen niemand etwas wissen wollte. Oder war nach ihrem Tod freie Bahn, die Teile aus ihr herauszuklauben, für die die Gesellschaft Verwendung zu haben meinte? Sodass sie endlich von Nutzen sein könnte. Eine Ressource werden könnte.
    Transplantationsgesetz, Paragraph drei, Absatz eins:
    Zur Transplantation oder einem anderen medizinischen Zweck vorgesehenes biologisches Material darf einem verstorbenen Menschen entnommen werden, sofern dieser seine Einwilligung erteilt hat oder auf andere Weise festgestellt werden kann, dass die Maßnahme in Übereinstimmung mit der Einstellung der/des Verstorbenen steht.
    Biologisches Material. Das war im entscheidenden Augenblick also alles. Sie fragte sich, was man an dem Tag, an dem esuntersucht würde, wohl für Sibylla Forsenströms Einstellung zu ihrem biologischen Material hielte.
    Paragraph drei, Absatz zwei:
    In einem anderen als dem in Absatz eins genannten Fall darf biologisches Material entnommen werden, sofern sich die/der Verstorbene nicht schriftlich einem solchen Eingriff widersetzt oder dagegen ausgesprochen hat oder aus einem anderen Grund Anlass zu der Vermutung besteht, dass der Eingriff der Einstellung der! des Verstorbenen widerspreche.
    Sie ließ den Papierstoß sinken und starrte die Bretterwand vor sich an. Sie war also Freiwild. Des einen Tod, des andern Brot. Sie fragte sich, was für ein Gefühl das sein mochte, das Herz eines anderen Menschen zu haben. Ein Herz, dessentwegen man Medikamente einnehmen müsste, damit der alte gewohnte Körper es nicht abstieße. Und die Angehörigen? Was für ein Gefühl war es zu wissen, dass das Herz eines geliebten Menschen in einem unbekannten Menschen weiterschlug.
    «Hast du was gefunden?»
    Patriks Stimme unterbrach ihre Überlegungen.
    «Nein. Du?»
    Da er nicht einmal antwortete, nahm sie an, dass er nichts gefunden hatte.
    Sie kehrte zum Transplantationsgesetz zurück.
    Paragraph

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