Die Flüchtende
ermordet.»
Sie starrte weiterhin übers Wasser, trotzdem tat Sibylla ihr Bestes, um erstaunt auszusehen.
«Es hat niemand hier aus der Gegend getan, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.»
Sie schwieg wieder. Sibylla betrachtete ihr Gesicht. Es war immer noch so hell, dass sie die Tränen erkennen konnte, die ihr über die Wangen liefen.
«Deswegen wollen Sie also verkaufen?», fragte Sibylla leise.
Die Frau schluchzte und schüttelte den Kopf.
«Wir hatten es schon lange vor. Wir wollten lediglich bis zum Frühjahr warten, um einen höheren Preis zu erzielen.»
Gunvor Strömberg barg das Gesicht in der rechten Hand, so als ob sie nicht wollte, dass Sibylla ihre Tränen sah.
«Sören war so lange krank gewesen. Leberkrebs. Vor einem guten Jahr unterzog er sich einer großen Operation und es ging alles über Erwarten gut. Zuvor hatten sie gemeint, er habe eine Überlebenschance von vierundvierzig Prozent.»
Sie schüttelte den Kopf.
«Ich hatte irgendwie neue Hoffnung geschöpft. Er nahm seine Medikamente und ging regelmäßig zur Kontrolle und alles schien gut. Er war natürlich oft müde, schaffte nicht mehr so viel wie vorher. Wir hatten das Gefühl, dass das Häuschen hier allmählich zu viel Arbeit machte, und fanden, wir sollten das Geld stattdessen lieber dafür verwenden, noch ein bisschen zu reisen. Wir wussten ja nicht, wie viel Zeit uns noch blieb.»
Sie schwieg wieder. Sibylla legte ihr die Hand auf die Schulter, und bei dieser Berührung schluchzte Gunvor Strömberg laut auf.
«Wir waren immer hier im Häuschen. Sobald wir frei hatten, sind wir hierher gefahren.»
«Sie sollten mit dem Verkauf noch ein bisschen warten.»
Die Frau schüttelte den Kopf.
«Ich möchte nicht mehr hier sein. Ich kann das Haus nicht einmal mehr betreten.»
Sie standen ein Weilchen schweigend da. Sibylla hatte ihre Hand wieder zurückgezogen. Plötzlich tönte eine Trompetenfanfare durch die Luft. Sibylla sah sich verwundert um.
« Das ist nur Magnusson. Er bläst jeden Morgen die Reveille und jeden Abend den Zapfenstreich, wenn er hier ist. Aus purer Freude, sagt er.»
In all ihrem Leid lächelte Gunvor Strömberg ein wenig.
Sibylla schloss die Augen. Wenn sie hier leben könnte! Ganz allein und in Ruhe, lediglich ein Nachbar in angemessener Entfernung, der seine Anwesenheit aus purer Freude mit einem Trompetensalut verkündete.
Der Traum vom Glück.
«Wie viel verlangen Sie?»
Gunvor Strömberg drehte sich um und sah sie an.
«Der Makler meint, wir könnten vielleicht dreihunderttausend herausholen ...»
Sibyllas Hoffnung erlosch.
«... aber für mich ist es wichtiger, wer es kauft.»
Sie sahen sich an.
«Sören und ich haben es anno siebenundfünfzig gebaut. Wir haben geschuftet und gekämpft, damit wir es schafften, und wir haben hier viel erlebt. Manchmal erscheint es undenkbar, dass wir einfach nur ausziehen und plötzlich jemand anders einzieht. Und das Haus weiterhin stehen bleibt. Ohne uns.»
Sibylla senkte den Blick und Gunvor Strömberg zog ihre Jacke enger um sich.
«So als ob wir nie eine Rolle gespielt hätten.»
«Aber natürlich haben Sie das», sagte Sibylla und meinte es wirklich so. «Gerade darum ist dieses Fleckchen hier doch so phantastisch. Das ganze Haus da oben trägt ihre Spuren und die ihres Lebens. Und alles hier draußen ebenfalls. Dieser Weg. Den haben doch Sie getrampelt und den wird es hier immer geben. Die Büsche, die Sie gepflanzt haben. Alles. Ich für meine Personhabe nichts hinterlassen. Von mir wird es nichts mehr geben, wenn ich einmal tot bin.»
Sie verstummte. Was trieb sie da eigentlich? Sollte sie nicht auch noch erzählen, wie sie hieß, wo sie doch schon einmal dabei war?
«Sie haben doch einen Sohn.»
Sibylla räusperte sich.
«Ja, natürlich.» Sie lächelte verlegen. «Ich weiß auch nicht genau, was ich gemeint habe.»
Sie wandte sich dem Haus zu und rief:
«Patrik! Müssen wir nicht los, wenn wir den Bus noch erwischen wollen?»
«Haben Sie ein Auto?», fragte Gunvor Strömberg.
«Nein. Wir sind mit dem Taxi gekommen.»
«Sie können mit mir in die Stadt fahren.»
Sie kamen gerade rechtzeitig. Sibylla saß auf dem Platz am Fenster und hielt Gunvor Strömbergs Telefonnummer in der Hand.
Falls sie das Haus kaufen wollte.
Sie faltete den Zettel und steckte ihn in die Tasche. Patrik sah sie eifrig an.
«Hast du denn irgendetwas Brauchbares herausbekommen?»
Sibylla schob ihren Traum beiseite und sah ihn an.
«Ich weiß nicht so
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