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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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wieder auf die Füße und bog seine Arme hinter dem Rücken hoch, so dass er nicht mehr fliehen konnte, wenn er sich nicht den Ellbogen brechen wollte.
    Er gab den Versuch auf, sich aus meinem Griff zu winden, und drehte den Kopf so weit, dass er mich mit einem Auge anschauen konnte. »Du hast mich also erwischt,Wachtmeister«, sagte er. »Und was hast du jetzt mit mir vor?«
    Das war eine verdammt gute Frage, und ein plötzlicher, stechender Schmerz in der Halsgrube erinnerte mich daran, dass mir die Zeit davonlief.
    »Schauen wir doch mal, was der Richter mit dir vorhat«, sagte ich.
    »De Veil?«, fragte Mr.   Punch. »Aber ja, bitte, ich bin sicher, dass er köstlich sein wird.«
    Der Wiedergänger, Geist des Aufruhrs und der Rebellion, dachte ich   – ich Idiot. Er ernährt sich doch von Geistern. Ich brauchte etwas Stärkeres. Brock hatte geschrieben, dass die
Genii locorum
, die Götter und Geister des Ortes, stärker waren als sonstige Geister. Gab es nicht auch einen Gott der Gerechtigkeit? Und wo konnte ich ihn   – oder sie   – finden? Und dann, auf einmal, kam mir die Erleuchtung. Die Statue der Frau, die auf der Kuppel von Old Bailey stand, in einer Hand ein Schwert, in der anderen eine Waage. Ich wusste nicht, ob es eine Göttin der Gerechtigkeit gab oder nicht, aber ich wäre jede Wette eingegangen, dass Mr.   Punch es sehr genau wusste.
    »Warum fragen wir nicht die nette Dame auf dem Old Bailey?«, schlug ich vor.
    Er verspannte sich und ich wusste, ich hatte recht gehabt. Er begann sich wieder zu wehren und versuchte, mir den Kopf gegen das Kinn zu rammen, aber für einen Londoner Polizisten war das kein neuer Trick, und ich wich mit einer schnellen Kopfbewegung dem Stoß aus.
    »Dieses Mal steigst du die Stufen zum Galgen hinauf«, sagte ich.
    Mr.   Punch wurde plötzlich schlaff, ich dachte schon,dass er sich geschlagen gab, doch dann fing er unter meinem Griff zu zittern an. Zuerst dachte ich, er weinte, doch dann merkte ich, dass er fast platzte vor Lachen. »Du wirst feststellen, dass das ein bisschen schwierig wird«, sagte er. »Dir ist nämlich inzwischen die Stadt abhanden gekommen.«
    Ich blickte mich um und sah, dass er recht hatte. Wir waren zu weit in der Zeit zurückgegangen. Von London war nichts übrig außer ein paar Hütten und den Holzpalisaden des römischen Lagers. Steinerne Bauten gab es nicht; es roch nach frisch gesägten Eichenplanken und heißem Pech. Nur ein Bauwerk war bereits vollendet   – die Brücke. Sie stand knapp hundert Meter von uns entfernt und war aus viereckig geschnittenen Holzbalken gebaut. Eigentlich sah sie eher wie ein Anglersteg aus, der in einem Anfall von Selbstüberschätzung meinte, er könne den ganzen Fluss überspannen.
    Über die Brücke marschierte eine Abteilung Legionäre in Reih und Glied. Die Sonne funkelte auf den Messingbeschlägen ihrer Brustpanzer. Hinter ihnen stand eine Gruppe Zivilisten, deren Togen für diesen besonderen Anlass blendend weiß gebleicht worden waren, und noch weiter entfernt ein paar Dutzend Männer und Frauen und Kinder in Barbarenhosen und mit Messingringen um den Hals.
    Und plötzlich begriff ich, was mir Mama Themse hatte sagen wollen.
    Ich denke, Mr.   Punch hatte es in diesem Moment ebenfalls begriffen, denn er wehrte sich heftig, als ich ihn über die Brücke und vor die Funktionäre in ihren Togen schleppte. Sie waren kaum mehr als bloße Echos aus derVergangenheit, Erinnerungen, gefangen im Gewebe der Stadt   – sie reagierten nicht, als ich Punch vor ihnen zu Boden stieß. In der fünften Klasse hatten wir mal römische Geschichte durchgenommen, aber wir brauchten kaum Daten oder so zu lernen, sondern machten viel Gruppenarbeit zu der Frage, wie das Alltagsleben damals im römischen Britannien aussah. Deshalb erkannte ich jetzt den Priester in der Gruppe an dem Purpurstreifen der Stola, die seinen Kopf bedeckte. Außerdem erkannte ich ihn an seinen Gesichtszügen, obwohl er jetzt viel jünger aussah als zu dem Zeitpunkt, als ich ihn leibhaftig gesehen hatte. Auch war er jetzt glatt rasiert, sein Haar war schwarz und hing ihm bis auf die Schultern, aber es war dasselbe Gesicht, und es gehörte zu der Person, die sich an der Quelle der Themse gegen einen Zaun gelehnt hatte. Dies war der Geist des Alten Mannes des Flusses als junger Mann.
    Plötzlich wurden mir sehr viele Dinge klar.
    »Tiberius Claudius Verica«, rief ich.
    Wie ein Mann, der aus einem Tagtraum erwacht, wandte mir der Priester

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