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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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seinem Geisterjagdrevier am Covent Garden führen, sondern auch zurück in der Zeit bis zum Beginn seines Geisterdaseins.
    Das neueste Buch zu diesem Thema, das ich hatte finden können, war 1936 erschienen und von einem Burschen namens Lucius Brock verfasst worden. Brock spekulierte darin, dass sich die
Vestigia
gewissermaßen in Schichten ablagerten, vergleichbar mit archäologischen Ablagerungen, und dass die verschiedenen Geister verschiedene Schichten »bewohnten«. Ich war zu Wallpenny im spätviktorianischen Zeitalter unterwegs, und er würde mich dann zu Henry Pyke im späten 18.   Jahrhundert führen, und dort würde mir Pyke, ob es ihm gefiel oder nicht, seine letzte Ruhestätte verraten.
    Ich war gerade mal bis zur Drury Lane gelangt, als mich das viktorianische Zeitalter mit einem üblen Würgereiz in die Knie zwang. An den alles durchdringenden Gestank von Pferdemist hatte ich mich fast schon gewöhnt, aber jetzt war ich in den 1870er-Jahren angekommen und die waren ungefähr so, als würde ich den Kopf in eine Jauchegrube stecken. Auch wenn es nur ein
Vestigium
war, es war so stark, dass ich mein imaginäres Mittagessen indie schmutzige Gosse entsorgte. Ich schmeckte Blut im Mund   – es musste mein eigenes Blut sein, zweifellos eine Art Treibstoff für den okkulten Scheiß, den Molly fabrizierte, um mich in der Zeitreiseschleife zu halten.
    Die Bow Street war überfüllt mit riesigen Karren, gezogen von ebenso riesigen Pferden. Dies war Covent Garden zu seiner besten Zeit, und ich erwartete, dass mich das Skelettabzeichen nun durch die Russell Street bis zur Piazza führen würde, doch stattdessen dirigierte es mich nach links, die Bow Street hinauf und zum Royal Opera House. Aber schon unterwegs veränderte sich die Form der Kutschen und ich merkte, dass ich zu weit in der Zeit zurückgegangen war und dass mit Plan A etwas schiefgelaufen sein musste.
    Auf dem Opernvorplatz verschwanden die schweren Karren völlig, als seien sie für die nächste Szene von der Bühne geräumt worden. Der Himmel verdunkelte sich, die Straßen wurden düster und waren nur noch von Fackeln und Öllaternen beleuchtet. Die geisterhaften Abbilder vergoldeter Kutschen glitten an mir vorbei; parfümierte Damen und Herren mit Perücken promenierten die Treppen des alten Theatre Royal hinauf und hinunter. Eine Gruppe von drei Männern fiel mir auf. Sie kamen mir solider vor als die übrigen Gestalten, materiell dichter und realistischer. Einer von ihnen war ein stattlicher älterer Herr mit großer Perücke, der steif an einem Stock ging   – das musste Charles Macklin sein. Das Licht klebte an ihm, als würde er für eine Nahaufnahme hervorgehoben   – von wem, dürfte nicht schwer zu erraten sein.
    Das hier, nahm ich an, sollte wohl die Wiederaufführung der berüchtigten Szene werden, in der Henry Pykevom feigen Charles Macklin ermordet wird   – und wie aufs Stichwort betrat auch schon Henry Pyke persönlich den Schauplatz, und zwar im Zustand höchster Erregung, mit schief sitzender Perücke und einem überdimensionalen Stock in der Hand.
    Und jetzt erkannte ich sein Gesicht. Ich hatte es das erste Mal in einer kalten Januarnacht gesehen, und es hatte sich als Nicholas Wallpenny vorgestellt, einstmals wohnhaft in der Pfarrgemeinde Covent Garden. Aber nein: das Gesicht gehörte nicht Nicholas Wallpenny, sondern Henry Pyke. Und es war immer Henry Pyke gewesen, von Anfang an, seit unserem ersten Zusammentreffen unter dem Portikus der Schauspielerkirche, und ich musste zugeben, dass er dort eine darstellerische Glanznummer als quietschvergnügter Cockney abgeliefert hatte. Nun war klar, warum sich Wallpenny nicht blicken lassen wollte, solange Nightingale in der Nähe war. Es bedeutete aber auch, dass die Szene im Park neben der Kirche, bei der ich eine größere Grabung mitten auf dem Gelände eines wertvollen Londoner Kulturerbes verursacht hatte, nichts anderes als genau das gewesen war   – nämlich eine Szene, eine Aufführung.
    »Zu Hülfe! Zu Hülfe!«, schrie einer von Macklins Begleitern. »Meuchelmord!«
    Manche Dinge sind einfach universal und laufen immer gleich ab. Vögel müssen fliegen. Fische müssen schwimmen. Und Narren und Polizisten müssen hinrennen, wenn jemand schreit. Ich schaffte es jedoch, mich so weit zu beherrschen, dass ich nicht »Oi!« schrie, als ich losstürmte. So war ich nur noch zwei Meter von Henry Pyke entfernt, als er mich kommen sah. Mit Befriedigung sahich, dass ein »Oh,

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