Die Fluesse von London - Roman
praktizieren, solange ich das Mobiltelefon bei mir trug, mich in der Nähe eines Computers oder eines iPods befand oder überhaupt einer der höchst nützlichen technologischen Errungenschaften, die seit meiner Geburt erfunden worden waren. Kein Wunder, dass Nightingale einen Jaguar Baujahr 1967 fuhr. Die Frage war nur, wie nahe die Magie den Geräten kommen durfte, ohne Schaden anzurichten. Ich wollte mir eigentlich ein paar Experimente ausdenken, um das herauszufinden, als mich Nightingale mit der nächsten Übungsform ablenkte.
Wir setzten uns an die entgegengesetzten Enden des Labortischs. Nightingale legte etwas zwischen uns auf den Tisch – einen kleinen Apfel. »
Impello «
, sagte er und der Apfel erhob sich in die Luft. Er schwebte zwischen uns und drehte sich langsam um sich selbst. Ich konnte keinerlei Drähte, Stäbe oder überhaupt irgendwelche Tricks entdecken. Ich tippte den Apfel mit dem Zeigefinger an, aber er fühlte sich so an, als sei er in etwas Festes eingebettet.
»Genug gesehen?«
Ich nickte und Nightingale stellte einen Korb Äpfel auf den Tisch. Einen richtigen Weidenkorb mit Henkel,sogar mit einem rot-weiß karierten Tuch ausgeschlagen. Er legte einen Apfel vor mich auf den Tisch, und dieses Mal brauchte er mir den nächsten Schritt nicht zu erklären. Er ließ seinen Apfel hochschweben, ich hörte mir die
Forma
an, konzentrierte mich auf meinen eigenen Apfel und sagte: »
Impello
.«
Eigentlich war ich nicht sonderlich überrascht, dass nichts passierte.
»Es wird leichter«, sagte Nightingale, »aber es wird eben nur sehr langsam leichter.«
Ich betrachtete den Apfelkorb. »Warum brauchen wir so viele Äpfel?«
»Sie explodieren gern auch mal.«
Am nächsten Tag ging ich erst mal einkaufen – drei Schutzbrillen und eine besonders strapazierfähige Laborschürze. Nightingale hatte das mit den explodierenden Früchten keineswegs scherzhaft gemeint: Ich roch den Rest des Tages nach Apfelsaft und verbrachte den Abend damit, Apfelkerne aus meinen Kleidern zu zupfen. Ich hatte Nightingale gefragt, warum wir den Zauberspruch nicht mit widerstandsfähigeren Gegenständen übten, zum Beispiel mit Stahlkugeln, aber er hatte mir erklärt, die Magie erfordere von Anfang an ein sehr genaues Justieren der Feinsteuerung.
»Junge Männer geraten immer in Versuchung, rohe Gewalt anzuwenden«, hatte er gesagt. »Es ist so ähnlich, wie mit einem Gewehr schießen zu lernen; wenn etwas an sich schon gefährlich ist, muss man den Schülern Sicherheit, Genauigkeit und Schnelligkeit beibringen – in dieser Reihenfolge.«
In der ersten Übungsstunde verbrauchten wir eine Menge Äpfel. Ich schaffte es irgendwann sogar, sie in die Luft zu kriegen, aber früher oder später – platsch! Für kurze Zeit war das ganz lustig, dann wurde es langweilig. Nach einer Woche Übung konnte ich einen Apfel schweben lassen, und neun von zehn Äpfeln explodierten nicht. Aber ich war trotzdem kein glücklicher kleiner Zauberer.
Was mir Kummer bereitete, war die Frage, woher die Zauberkraft kam. Von Elektrizität hatte ich nie viel verstanden, deshalb hatte ich keine Ahnung, welche Stromstärke erforderlich war, um ein Werlicht hervorzubringen. Aber einen Apfel gegen die Schwerkraft der Erde zum Schweben zu bringen, entsprach ungefähr der Standarddefinition der Krafteinheit Newton, wofür theoretisch ungefähr ein Joule Energie in der Sekunde erforderlich war. Die Gesetze der Thermodynamik sind in dieser Hinsicht ziemlich streng und sie besagen, dass man nie etwas kriegt, ohne etwas dafür zu geben. Was wiederum bedeutete, dass dieses Joule von irgendwoher kommen musste – die Frage war nur: woher? Aus meinem Gehirn?
»Es ist also so was wie außersinnliche Wahrnehmung«, meinte Lesley bei einem ihrer Besuche in der Remise. Offiziell kam sie in dienstlicher Eigenschaft, schließlich hatte sie den Auftrag, das weitere Vorgehen mit mir zu koordinieren, aber die wahren Gründe waren der Widescreen-Fernseher, der Pizzaservice und der Anflug von sexueller Spannung zwischen uns. Was den Fall betraf, hatten wir nichts Neues herausbekommen.
»So ähnlich wie bei dem Typ im Fernsehen, der Gegenstände bewegen kann, ohne sie anzufassen«, sagte Lesley.
»Fühlt sich nicht so an, als würde ich Gegenstände nur durch die Kraft meiner Gedanken bewegen«, sagte ich. »Es ist eher so, dass ich mir bestimmte Formen vorstelle, die auf etwas anderes einwirken, das wiederum am anderen Ende etwas bewegt. Weißt
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