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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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sah ich sogar das hufeisenförmige Dach eines alten hölzernen Zigeunerwagens   – ich hatte immer gedacht, so etwas würde heutzutage nur noch für Touristenausflüge eingesetzt. Obwohl die Wohnwagen willkürlich durcheinander geparkt schienen, fiel mir doch bald ein gewisses Muster auf, eine tiefere, verborgene Struktur, die irgendwo am Rand der Wahrnehmung zu erahnen war. Auf jeden Fall zog sich ein Zaun um das ganze Areal, und der kräftig gebaute Mann, der ihn vom Eingang seines Wohnwagens aus bewachte, war ganz gewiss nicht nur eine Ahnung.
    Der Mann hatte sein dichtes schwarzes Haar mit Haargel zu einer Rockertolle frisiert und besaß lange Koteletten, wie sie früher einmal Mode gewesen waren, als mein Vater noch bei Jam-Sessions mit Ted Heath aufgetreten war   – in den späten Fünfzigern. Außerdem lehnte eine total illegale Flinte Kaliber 12 an der Wohnwagenwand.
    »Guten Tag«, sagte Nightingale, blieb aber nicht stehen.
    Der Mann nickte grüßend. »Tag.«
    »Schönes Wetter haben wir heute«, sagte Nightingale.
    »Sieht ganz gut aus.« Seinem Akzent nach war der Mann entweder Waliser oder Ire, jedenfalls definitiv keltisch. Auf meinem Nacken sträubten sich die Härchen. Kein Londoner Polizist würde in das Wohnwagenlager reisender Schausteller spazieren, ohne mindestens eine Busladung Verstärkung in Kampfmontur hinter sich zu wissen. Das wäre schlicht respektlos.
    Die Wohnwagen bildeten einen Halbkreis um den eigentlichenJahrmarkt. Dort röhrten und dröhnten und brüllten die großen stählernen Ungeheuer der Jahrmarktwelt lautstark ihre Botschaft »
I feel good
« von James Brown. Wie jeder Polizist weiß, wird die Jahrmarktwelt in Großbritannien von den
Showmen
beherrscht, einer Ansammlung von Familienclans, die so eng miteinander verflochten sind, dass sie mehr oder weniger eine eigene ethnische Gruppe darstellen. Auch hier waren die bekannten Namen auf den Generatorenwagen und auf den großen Reklametafeln aufgemalt. Ich zählte mindestens sechs verschiedene Namen auf sechs Fahrgeschäften und dann noch ein weiteres halbes Dutzend, als wir über den Jahrmarkt gingen. Anscheinend hatte jede Familie eine Attraktion zum Frühlingsfest in Trewsbury Mead entsandt.
    Dünne kleine Mädchen liefen lachend und mit wehendem rotem Haar vorbei. Ihre älteren Schwestern stolzierten auf hochhackigen Stiefeln unter weißen Hotpants und Bikinitops daher und musterten die jungen Männer unter ihrer Max-Factor-Wimperntusche und durch Zigarettenrauchwolken hindurch. Die Jungen versuchten ihre Verlegenheit durch lautstarke Angeberei zu überspielen und schlenderten mit betonter Lässigkeit zwischen den fahrenden Gondeln und Achterbahnwagen hindurch. Die Mütter konzentrierten sich auf die Stände, an denen kitschige Bilder von Filmstars vergangener Jahre prangten und bunte Wimpel über den offiziellen Schildern mit den Sicherheitsvorschriften flatterten. Anscheinend musste niemand für die Karussells oder die Zuckerwatte zahlen, was erklärte, warum die Kids so glücklich waren.
    Auch der Jahrmarkt bildete einen Halbkreis; im Mittelpunkt befand sich ein eingezäunter Pferch, wie manihn aus Westernfilmen kennt, und in dessen Mittelpunkt befand sich die Quelle des mächtigen Flusses Themse. Die mir eher wie ein kleiner Ententümpel vorkam. Und am Zaun stand niemand anders als der Alte Mann der Themse höchstpersönlich.
    Auf der Trewsbury Mead hatte einmal eine Statue von Vater Themse gestanden, die irgendwann an einen Flussabschnitt bei Lechlade versetzt worden war, weil man dort etwas zuverlässiger mit dem Vorhandensein von Wasser rechnen konnte. Sie zeigte einen muskulösen alten Mann mit William-Blake-Bart, der zurückgelehnt auf seinem Sockel saß, eine Schaufel über der Schulter und ein paar Kisten und Bündel zu seinen Füßen   – sie symbolisierten die Früchte von Handel und Gewerbe. Selbst ich erkenne eine so überdeutliche Anspielung auf die alte imperiale Größe der Nation. Deshalb hatte ich auch gar nicht erwartet, dass der Flussvater so aussehen würde wie seine Statue, aber etwas eindrucksvoller als den Mann am Zaun hatte ich ihn mir schon vorgestellt.
    Der Alte war eher klein und hatte ein verkniffenes Gesicht mit einer Hakennase und finsteren Augenbrauen. Er sah aus wie mindestens siebzig, aber seine Bewegungen waren sehnig und kraftvoll und die grauen Augen blickten hell und aufmerksam. Er trug einen altmodischen anthrazitfarbenen Zweireiher; das Jackett war geöffnet, so dass darunter

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