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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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registriert unser neuronales System Diskrepanzen zu dem Modell, durch die wir wissen, dass beide Gegenstände sich unterscheiden.
    Betrachten wir den neuen Gegenstand eine Weile, so wird das Muster der registrierten Diskrepanzen allmählich selbst erlernt. Johns Erkennungsmerkmal, das anfangs als Diskrepanz behandeltwurde, wird selbst zu einer Erwartung, wenn wir nun John regelmäßig zu sehen bekommen. Wir können diese Erwartung über Lernzyklen mithilfe zusätzlicher Korrelationsneurone erfassen und somit ein weiteres Modell einrichten, das sowohl John als auch Mary einschließt. Dieses weitere Modell wollen wir als Personenmodell bezeichnen. Sehen wir John oder Mary durch das Personenmodell, so löst jeder von ihnen ein bestimmtes Feuerungsmuster an den Diskrepanz- und Korrelationsneuronen aus, und wir können dadurch identifizieren, um wen es sich handelt. Sehen wir eine dritte Person, die weder wie John noch wie Mary aussieht, so würden wir nun Diskrepanzen zu unserem Personenmodell wahrnehmen, die dann zu immer weiteren Identifizierungen und Differenzierungen führen. Wir bauen rekurrent Korrelation auf Korrelation auf, lernen durch erste Modelle und dann durch regelmäßige Abweichungen von diesen Modellen, um immer allgemeinere und zugleich genauere Modelle auszuarbeiten.
    Dieser Prozess, bei dem ein Modell auf dem anderen aufbaut, ist ein Teil der neuronalen Reise, die jeder von uns von Geburt an unternimmt. Wir alle starten mit bestimmten Erwartungen (Modellen), die in den neuronalen Verbindungen und Synapsenstärken festgelegt sind, mit denen wir geboren werden. Ebenfalls angeboren sind uns strukturierte neuronale Anordnungen, über die wir diese Modelle durch Lernen verfeinern und ausbauen können. Für unser neuronales Schema waren diese strukturierten Anordnungen die verschiedenen neuronalen Augen und ihr Zusammenspiel. Dann verändern wir mit der Erfahrung unsere Modelle, erlernen bestimmte Korrelationen darüber, wie die Dinge sich verändern, während wir sie betrachten; diese Information nutzen wir dann, um unsere Modelle weiter auszuarbeiten. Hier wird also das Prinzip der Rekurrenz auf neuronale Modelle angewandt.
    Im Kern dieses Vorgangs des Modellaufbaus steht das Lernen über Diskrepanzen und Korrelationen. Wie wir bei den neuronalen Schemata für Diskrepanzneurone in den beiden letzten Kapiteln festgestellt haben, beruht dieses Lernen auf unserer vertrauten doppelten Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb, die durch ein Gleichgewicht zwischen Variabilität und Persistenz angetrieben wird. Auf der Grundlage einer Population von Erfahrungen (Variabilität) fördern bestimmte Neurone ihre eigeneSynapsenstärke (Verstärkung), bis sie irgendwann an ihre eigenen Grenzen stoßen (Wettbewerb), was zu andauernden Veränderungen der Synapsenstärke führt (Persistenz). Dieselben Prinzipien gelten für Lernschemata von Korrelationsneuronen, obwohl wir das nicht im Detail untersucht haben. Diese Rückkopplungsschleifen sind noch komplizierter, weil jetzt mehr Diskrepanz- und Korrelationsneurone gemeinsam wirken, doch die Prinzipien sind genau dieselben wie zuvor.
LERNEN AUF VERSCHIEDENEN EBENEN
    Ein weiteres Schlüsselmerkmal unseres neuronalen Schemas lautet, dass zwischen verschiedenen Ebenen Wechselbeziehungen stattfinden. Wir haben nicht nur ein neuronales Auge, sondern mehrere, und jedes arbeitet auf seiner eigenen Ebene. Dank dieser neuronalen Augen können wir mehr leisten als nur mit dem normalen Auge. Wo ein normales Auge gleichzeitig nur in eine Richtung gerichtet sein kann, können unsere multiplen neuronalen Augen zugleich in verschiedene Richtungen gerichtet sein, und wir können damit von einem Gegenstand zeitgleich viele Aspekte wahrnehmen. So konnten wir in John Mary sehen – das kleine neuronale Auge in der Mitte konnte weiter nach rechts sehen, während die anderen weiterhin geradeaus blickten.
    Die verschiedenen Ebenen in unserem Schema arbeiten nicht isoliert voneinander, sondern höchst kooperativ. Was das große neuronale Auge sieht, hängt davon ab, wohin die kleinen Augen blicken, weil das visuelle Signal, um zum großen neuronalen Auge zu gelangen, erst durch die kleinen neuronalen Augen gehen muss. Andererseits hängt auch das, was die kleinen neuronalen Augen sehen, vom großen neuronalen Auge ab, weil die Bewegung des großen neuronalen Auges auch deren sämtliche Inputs verschiebt. Über diese gegenseitige Verbindung können die Augen einander

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