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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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des neuronalen Auges« feuert, desto mehr verschieben sich die funktionalen Verbindungen nach rechts. Analog könnte das Feuern eines anderen Neurons »Bewegung des neuronalen Auges« die funktionalen Verbindungen nach links verschieben. Damit können wir unsere neuronalen Augen bewegen, so wie wir unsere physischen Augen bewegen können. Nur bewegt sich das Auge hier nicht wirklich, sondern verschiebt nur die Funktionalität der Verbindungen. Der Einfachheit halber nenne ich diese Verschiebungen der Inputs an Ebene 1 im Folgenden »Bewegungen des neuronalen Auges«, da sie sich ähnlich auswirken wie eine Augenbewegung. Wir behalten aber immer im Kopf, dass die Bewegung des neuronalen Auges keine physische Augenbewegung impliziert, sondern nur eine Veränderung an den jeweils funktionalen Verbindungen. Die Bewegung des neuronalen Auges ist zwar immer noch ein physikalischer Vorgang, aber es geht dabei um Veränderungen an der Signaltransferfähigkeit von Neuronen im Gehirn (zum Beispiel durch präsynaptische Hemmung) und nicht um Kontraktionen von Augenmuskeln.
    Nehmen wir an, wir lernen nun, Mary mit unserem neuronalen Auge zu verfolgen, wenn sie sich im Verhältnis zu uns bewegt, sich also rechts oder links über ihren schwarzen Hintergrund verschiebt (diese Bewegung kann auch darauf beruhen, dass wir uns im Verhältnis zu ihr bewegen). Das würde eine Form der Kalibrierung bewirken, wie wir sie im vorigen Kapitel untersucht haben; wir würden Diskrepanzen aufdecken, wenn sie sich im Verhältnis zu uns bewegt, und unsere neuronalen Augen so anpassen, dass sie reduziert werden. Diesmal kalibrieren wir aber unsere neuronalen Augenbewegungen und nicht mehr echte Bewegungen. Außerdem kalibrieren wir nach einer bestimmten Ansicht von Mary – nämlich wenn sie ganz im Fokus steht. Unser neuronales Auge versucht immer, dieses Originalbild im Blick zu behalten, wenn Mary sich bewegt.
    Damit dieser Kalibrierungsprozess möglich wird, muss unser neuronales System Verschiebungen von Marys Position wahrnehmen können. Erinnern wir uns: Um visuelle Verschiebungen oder Bewegungen wahrzunehmen, muss immer eine gebündelte Information aus mehreren Photorezeptoren vorliegen. Wie das bei unserem neuronalen Auge aussehen könnte, zeigt das Schema in Abbildung 67. Ich habe dort eine zusätzliche Ebene (Ebene 2) mit drei Neuronen eingeführt: A, B und C (ABC), die ihre Inputs von Ebene 1 erhalten. Das A-Neuron betrachtet das linke Drittel des Gesichtsfeldes, das B-Neuron das mittlere Drittel, und das C-Neuron das reche Drittel. Der Einfachheit halber stelle ich nur die funktionalen Verbindungen zwischen Netzhaut und Ebene 1 dar, und nicht die vielen toten grauen Verbindungen, die aber auch existieren. Bewegt sich nun Mary leicht von links nach rechts über den Hintergrund, so lernen wir, Marys Bewegung mit Bewegungen unseres neuronalen Auges zu verfolgen und dabei immer das ursprüngliche Bild von ihr aufrechtzuerhalten. Veränderungen an den ABC-Neuronen würden an das Neuron »Bewegung des neuronalen Auges« rückgemeldet und das neuronale Auge auf Spur halten. Die Folge: Wenn Mary sich im Verhältnis zu uns bewegt, folgt das neuronale Auge auf dem Fuße und behält sie immer im Blick. Damit wird Marys Bild stabilisiert, zumindest für solche Hirnregionen, die entsprechend funktionieren.
    (67) Verbindung neuronaler Augenbewegungen mit visuellen Signalen an die ABC-Neurone.
M ULTIPLE AUGEN
    Bisher hat die Bewegung eines neuronalen Auges noch nichts erbracht, was wir nicht auch mit einer physischen Augenbewegung erreichen konnten. Neuronale Augen haben aber gegenüber physischen einen enormen Vorteil: Wir können davon mehr als zwei haben. Wie David Van Essen und Mitarbeiter 1993 an der Caltech nachwiesen, unterstützt uns die Existenz multipler neuronaler Augen bei der Interpretation visueller Bilder. 102 Damit wir uns vorstellen können, wie das funktioniert, müssen wir unserem Schema eine weitere Ebene hinzufügen.
    In Abbildung 68 sehen wir dasselbe Schema wie zuvor, aber mit einer zusätzlichen Zwischenebene. Anstelle einer Serie ABC-Neurone auf Ebene 2 verfügt sie über drei Serien, die wir a, b und c (abc) nennen. Jede dieser abc-Serien funktioniert wie die ABC-Serie, ist aber für einen kleineren Teil des Gesichtsfelds zuständig. Während die Informationen aus den ABC-Neuronen (jetzt Ebene 3) gemeinsam das gesamte Gesichtsfeld umfassen, deckt jede abc-Serie nur ein Drittel dieses Gesichtsfelds ab.
    (68) Neuronale

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