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Historical Exklusiv Band 06

Historical Exklusiv Band 06

Titel: Historical Exklusiv Band 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caryn Cameron Merline Lovelace
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1. Kapitel
     
    Sarah Abernathy war noch niemals zuvor in einem Bordell gewesen.
    Und wenn die Lage ihrer Familie weniger hoffnungslos gewesen wäre, hätte sie niemals daran gedacht, auch nur einen Fuß in das "Haus der tanzenden Blüten" zu setzen. Aber ihr Vater wurde jetzt seit beinahe drei Wochen vermisst, und alle ihre Hoffnungen, ihn zu finden, ruhten auf dem Mann, der – wollte man den Klatschbasen Glauben schenken – allnächtlich die berüchtigtste Vergnügungsstätte in ganz Macao zu besuchen pflegte.
    Lord James Straithe, Kapitän des Schoners Phoenix, hatte Sarahs eindringliche und mehrmals wiederholte Bitte, bei ihr in der presbyterianischen Mission vorzusprechen, bislang hartnäckig ignoriert; daher blieb ihr einfach keine andere Wahl, als ihn ihrerseits in dem von ihm bevorzugten Etablissement aufzusuchen. Sie bückte sich, um den harten Holzschuh an ihrem bestrumpften Fuß zu befestigen. Hätte ihr Vater gesehen, mit welchem Gesichtsausdruck seine älteste Tochter dies tat, wäre er gewiss außerordentlich beunruhigt gewesen.
    "Meinst du wirklich, dass du in diesem Aufzug ausgehen solltest, Sarah?" fragte Abigail besorgt. "Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass es Papa missfallen würde, wenn er wüsste, was genau du da vorhast."
    Aus Sarahs Gesicht verschwand der Ausdruck finsterer Entschlossenheit, als sie den Kopf hob und ihre jüngere Schwester liebevoll anlächelte. "Wenn Papa hier wäre, um sein Missfallen auszudrücken, müsste ich ja überhaupt nicht ausgehen, oder?"
    Abigail Abernathy schob die Unterlippe vor. "Nein, du hast Recht, das müsstest du wohl nicht."
    Es lag ganz und gar nicht in Abigails Natur, mit ihrer älteren Schwester, die sie so sehr bewunderte, zu streiten. Doch ihr Gefühl für Sitte und Anstand veranlasste sie trotzdem noch zu einem weiteren Einwand.
    "Vielleicht solltest du noch ein wenig warten. Ich bin sicher, wir werden bald von Papa hören. Er ist schon früher ähnlich plötzlich und unerwartet verschwunden. Erinnerst du dich noch, wie es damals war, im Punjab, als er in die Berge zog, um nach diesem Eremiten zu suchen?"
    "Ich erinnere mich sehr gut daran", erwiderte Sarah trocken und griff nach dem anderen hohen Holzschuh. "Und ich erinnere mich auch noch sehr gut an die Katastrophen, die die Folge davon waren."
    "Aber Sarah", meldete sich der kleine Junge, der neben Abigail stand, zu Wort. "Es war nicht Papas Schuld, dass das Wasser im Brunnen des Dorfes ausgerechnet an dem Tag verdarb, als er den Eremiten aus den Bergen holte."
    "Das stimmt, Charlie. Und es war auch nicht seine Schuld, dass wegen eines Gewitters eine Herde heiliger Kühe durch das Dorf stürmte. Dennoch sahen die Dorfbewohner in ihm den Schuldigen, der all dieses Unglück verursacht hatte."
    Der Sechsjährige lächelte die Schwester an. "Weil er den alten Mann aus seiner Höhle geholt hat, damit er das Dorf mit seinen Gebeten beschützte."
    Charlie liebte diese oft und immer wieder gern erzählte Geschichte. Obwohl er zur Zeit dieses Ereignisses noch ein Baby gewesen war, konnte er aus dem Gedächtnis die Bibelzitate wiederholen, die sein Vater den Dorfbewohnern von dem Schweinestall aus, in dem er sich verbarrikadiert hatte, entgegengeschleudert hatte. Wunderbarerweise war es Papa gelungen, die aufgebrachte Menge in Schach zu halten, bis die Leibgarde des Radscha zu seiner Rettung herbeigeeilt war.
    "Damals verließ er Indien und ging nach China, nicht wahr?" fragte der Junge.
    "Damals sind wir nach Macao gekommen", bestätigte Sarah und verschwieg dabei den Umstand, dass der Radscha diesem unbequemen und uneinsichtigen Missionar ernsthaft geraten hatte, niemals wieder einen Fuß nach Indien zu setzen. Weder Charlie noch seine beiden älteren Brüder kannten diesen Teil der Geschichte, und von Sarah würden sie ihn ganz gewiss nicht erfahren.
    Sie wusste genau, dass Charlie seinen Vater oft mit heldenhaften Taten und vollkommen unrealistischen Vorstellungen in Verbindung brachte. Der Junge selbst liebte das Abenteuer, und seine kindliche Seele war erfüllt von heroischem Ehrgeiz. Seit seine beiden älteren Brüder in England zur Schule gingen und er auf sich allein gestellt war, war er noch ruheloser und tollkühner geworden, und sein Übermut brachte ihn oftmals in erhebliche Schwierigkeiten. Sein Vater, der Reverend Josiah Abernathy, hatte unglücklicherweise nicht mehr die Geduld, den lebhaften Jungen zu maßregeln und zu vernünftigem Handeln anzuleiten; sofern er sich überhaupt

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