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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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fast unbegrenzt. Dasselbe gilt für Wörter. Vielleicht brauchen wir gelegentlich neue wie den Terminus Gen , den Wilhelm Johannsen 1909 prägte. Die Wörter, die wir schon besitzen, reichen aber normalerweise aus: Durch bestimmte neue Kombinationen dieser Wörter lassen sich neue Ideen ausdrücken und kommunizieren. Ähnliches gilt für die musikalische oder mathematische Notation. Auch die Malerei ist eine kombinatorische Aktivität. Maler können auf ihrer Palette nur wenige Farben ansetzen und sie in verschiedenen Kombinationen doch so verteilen, dass sie wunderbare Effekte ergeben. Kombinatorischer Reichtum ist in der Kultur auf vielen Ebenen offensichtlich, von der Anordnung von Buchstaben und Wörtern einer Sprache, der Nebeneinanderstellung von Ideen oder Materialien bis hin zum Aufeinandertreffen verschiedener Menschen.
    In den vorigen Kapiteln haben wir die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich aus dem kombinatorischen Reichtum ergeben, mit Hilfe von hochdimensionalen Räumen verbildlicht. Während der Evolution bewegen sich Populationen durch den genetischen Raum, im Laufe seiner biologischen Entwicklung unternimmt ein Embryo eine Odyssee durch den Entwicklungsraum, und beim Lernen reist ein Gehirn durch den neuronalen Raum. Entsprechend können wir uns vorstellen, dass die Spezies Mensch sich durch den kulturellen Raumbewegt. Der kulturelle Raum stellt die enorme Vielzahl kultureller Möglichkeiten dar, die dem Menschen offen stehen. Zu jedem Zeitpunkt können wir uns die Menschheit, also alle Völker der Erde mit ihren vielfältigen Interessen und Leistungen, auf einer bestimmten Position in diesem unvorstellbar großen kulturellen Raum vorstellen. Mit der Zeit hat unsere Spezies eine Reise durch den kulturellen Raum unternommen, und auf ihrem speziellen Weg haben sich menschliche Gewohnheiten und Bestrebungen weltweit verändert. 136
    Betrachten wir die Reise unserer Spezies durch den kulturellen Raum, so ist es verlockend, sie als einen stetigen Fortschritt zu verstehen, der schließlich in die heutige Kultur gemündet ist. Doch ob wir einen Wandel als Fortschritt verstehen oder nicht, hängt von unseren jeweils gültigen Werten ab, und die können sich im Lauf der Zeit durchaus selbst wandeln. Zudem verläuft die Reise unserer Spezies ja nicht einfach linear, sondern weist komplexe Windungen und Wendungen auf. Deshalb führt es in die Irre, wenn man sich vorstellt, die Reise des Menschen hätte unvermeidlich und zielstrebig auf die Gegenwart zugeführt. Dennoch können wir einige entscheidende Etappen auf diesem Weg kurz zusammenfassen.
    Noch bevor sich die Spezies Homo sapiens auf diese kulturelle Reise machte, waren schon verwandte Menschenarten unterwegs. Die frühesten menschlichen Artefakte, Steinwerkzeuge aus Afrika, wurden vor etwa 2 Millionen Jahren wahrscheinlich vom Homo habilis hergestellt, einer Art mit einem kleineren Schädel als wir und etwa der Hälfte unseres Hirnvolumens. 137 Die erhaltenen Werkzeuge legen die Vermutung nahe, dass diese Menschen bereits planend vorausdenken konnten. Ein Steinwerkzeug wird zu einem bestimmten zukünftigen Zweck hergestellt. Seinen Wert erhält es aus der Aussicht auf eine zeitlich verschobene Belohnung – das Fleisch, das der Nutzer damit von seiner Beute wird schaben können. Dieser Wert war bei den Artgenossen gemeinschaftlich anerkannt, und unter der Annahme, dass sie in einem gewissen Grad kommunizieren konnten, könnten sich Werkzeuge und ihre Herstellung in frühen menschlichen Populationen durch Verstärkung allmählich auszubreiten begonnen haben. Das Bedürfnis, immer bessere Werkzeuge herzustellen, mag sogar zu Wettbewerb geführt haben, und die Kooperation wuchs an, weil ein Werkzeugmacher vom anderen lernte. Mit den Jahren wurden die Menschen immer bessere Werkzeugmacherund stellten diverse hocheffiziente Faustkeile her. Das lag wohl zum Teil an evolutionären Veränderungen ihrer Hirnfähigkeiten, aber auch an Verbesserungen in der Herstellung, die über die Kultur vermittelt wurden. Auch frühe Menschenarten reisten bereits durch den kulturellen Raum.
    Der moderne Mensch Homo sapiens hat sich schätzungsweise vor etwa 200000 Jahren in Afrika herausgebildet. Von dort breitete er sich allmählich über den Globus aus und setzte sich gegen Verwandte wie den Homo neanderthaliensis durch. Warum der Homo sapiens in dieser Zeit die Dominanz errang, ist nicht ganz klar. Mit Sicherheit spielten Fortschritte bei Sprache und Kommunikation eine
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