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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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Kooperation und Wettbewerb. Die Kooperation zwischen Leonardo und Verrocchio wurde vom Wettbewerb gefördert – Verrocchio brauchte Lehrlinge, damit er Werke produzieren konnte, die mit denen der Gebrüder Pollaiuolo mithalten konnten. Auch andere Gruppierungen wie Gilden oder Städte gründeten auf Rivalitäten. Leonardo verstand sich primär als Maler, und er war sich nicht zu schade, sein Handwerk im Vergleich zu anderen herauszustellen: »Die Bildhauerei zeigt mit geringer Mühe das, was in der Malerei wie ein Wunder wirkt: nämlich, daß sie das Ungreifbare greifbar, das Flache erhaben, das Ferne nah erscheinen läßt.« 131 Natürlich können Experten aus anderen Fachgebieten ähnlich despektierlich über die Malerei denken wie Leonardo über die Bildhauerei. Der Dichter Byron etwa äußerte sich über die Malerei so: »Verlassen Sie sich darauf, von allen Künsten ist die Malerei die künstlichste und unnatürlichste, und diejenige, durch welche die Gedankenlosigkeit der Menschen am meisten irregeführt wird.« 132 Solche Verunglimpfungen unter konkurrierenden Gruppen beschränken sich übrigens keineswegs auf die Kunst. Der Experimentalphysiker Ernest Rutherford, der Entdecker des Atomkerns, schmälerte angeblich in seinen Bemerkungen den Beitrag seiner eher theoretisch arbeitenden Kollegen: »Theoretiker spielen mit ihren Symbolen, aber wir am Cavendishlegen die wahren Fakten der Natur offen.« 133 Wie wir schon in den vorigen Kapiteln gesehen haben, erzeugt Kooperation Wettbewerb und wird zugleich selbst von diesem gefördert.
    Dem Wechselspiel zwischen Kooperation und Wettbewerb schrieb Leonardo einen klaren Wert zu. In seinen Schriften zur Malerei betrachtet er die verschiedenen Vorteile der gemeinschaftlichen Arbeit:
    »Ich behaupte und versichere, daß es aus mehreren Gründen viel besser ist, in Gesellschaft zu zeichnen als allein. Erstens wirst du dich schämen, wenn du im Kreise der Zeichner für unbegabt giltst, und diese Scham wird ein Anlaß zu eifrigem Studium sein. Zweitens wird der liebe Neid dich anspornen, denen gleichzukommen, die mehr gelobt werden als du, denn das Lob für andre wird dir ein Ansporn sein. Schließlich wirst du dir auch ein Beispiel an denen nehmen, die mehr fertigbringen als du, und wenn du mehr kannst als die andern, so wirst du Nutzen aus der Vermeidung ihrer Fehler ziehen, und das Lob der andern wird dein Können steigern.« 134
    Für Leonardo ist ganz klar: Werden Menschen zusammengebracht, so führt das zu einer kreativen Mischung konkurrierender und kooperierender Wechselwirkungen und eindeutig zu mehr Effizienz, als wenn jeder für sich allein arbeitet.
    Kooperation und Wettbewerb sind im kulturellen Wandel Partner. Dank der Kooperation können Menschen in vielerlei Hinsicht und auf verschiedenen Ebenen voneinander lernen und profitieren: von der Fähigkeit des Einzelnen zur Kommunikation bis hin zu größeren kollektiven Unterfangen. Und die Förderung gemeinsamer Werte und Ziele erhöht die Leistungen. Wettbewerb ist ein wesentlicher Antriebsfaktor der Kooperation und stellt zugleich einen ständigen Ansporn für weitere Leistung dar.
KULTURELLE MISCHUNG
    Weil Kooperation Menschen zusammenbringt, fördert sie auch innovative Kombinationen von Ideen und Fähigkeiten. Wir schöpfen unsere Erfindungen nicht aus dem Nichts. Wir kombinieren und bauen aus, was bereits bekannt ist. Als Leonardo in Verrocchios Atelier arbeitete, integrierte er fortlaufend seine Ideen und Beobachtungen in das, was er von seinem Meister und den anderen Assistenten rund um ihn lernte. Seine Leistungen sind originelle Neukombinationen von Techniken und Wissen, und nicht etwas absolut Neues. Joshua Reynolds sagt dazu: »Genau genommen ist Erfindung nur um wenig mehr als ein neues Verbinden jener Vorstellungen, welche vordem gesammelt und im Gedächtnisse niedergelegt worden sind.« 135 Wir sind beim Prinzip des kombinatorischen Reichtums, diesmal aber in Form von Menschen, ihren Ideen und ihren Leistungen.
    Am deutlichsten wird die Rolle des kombinatorischen Reichtums, wenn wir die Medien betrachten, über die kulturelle Leistungen Verbreitung finden. Unser Alphabet besteht aus nur 26 Buchstaben, aber das schränkt uns nicht darin ein, neue, komplizierte Gedanken in Dichtung, Literatur und Wissenschaft auszudrücken. Gelangen wir zu einer neuen Einsicht, so haben wir kein Bedürfnis, neue Buchstaben zu erfinden, denn die Zahl der möglichen Kombinationen jener, die wir bereits besitzen, ist
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