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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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werden neuronale Veränderungen nach dem Kriterium der Belohnungsfindung »beurteilt«.
    Ein weiteres Merkmal rekurrenter kultureller Verschiebungen besteht darin, dass die Art ihrer Rückkopplung die Wirksamkeit der Werte verändern kann, auf denen sie sich gründen. Eine Haupttendenz unserer kulturellen Reise war und ist die Beschleunigung und die wachsende Reichweite von Kommunikation und Transport. Unsere Fähigkeit, Pferde und Kamele zu nutzen, war ein wesentlicher Faktor, der zur räumlichen Ausdehnung und zu gesteigertem Austausch früher Zivilisationen zu Land beitrug. Genauso waren Innovationen im Schiffbau und bei der Navigation entscheidend dafür, dass Güter und Gedanken zwischen verschiedenen Ländern transportiert werden konnten. Diese Entwicklungen gründen sich auf der hohen Wertschätzung, die der Mensch dem Land und dem Besitz entgegenbringt. Indem aber unterschiedliche Populationen wirksamer miteinander verbunden wurden, verbesserten sich auch jene Parameter, die Voraussetzung für den kulturellen Wandel sind. Es gab mehr Variabilität, weil die wechselwirkende Population viel größer wurde; es gab eine weitere Verbreitung von Leistungen durch Persistenz und Verstärkung; Wettbewerb und Kooperation nahmen zu; und indem unterschiedliche Völker in Kontakt gebracht wurden, vervielfachte sich der kombinatorische Reichtum noch. Insgesamt wurde damit die technische Entwicklung von Transport und Kommunikation weiter beschleunigt, und irgendwann gab es dann Züge, Autos, Flugzeuge, Telefone und das Internet. Jede dieser Innovationen baute auf das Vorausgehende auf – ganz zu Beginn wurden Automobile als pferdelose Kutschen bezeichnet, ein ziemlich seltsamer Name, wenn man ihre Geschichte nicht kennt. Unter dem Strich bewirkte diese Verbesserung von Kommunikation und Transport, dass die Welt schrumpfte, während die menschliche Bevölkerung wuchs; damit wurde der Prozess des kulturellen Wandels immer weiter beschleunigt, weil durch die Art seiner Rückkopplung die Prinzipien, auf denen er beruht, immer wirksamer wurden. Der immer schneller fortschreitende kulturelle Wandel, dessen Zeugen wir heute sind, ist das Ergebnis dieser Rückkopplung.
E INE KULTURFORMEL
    Es ist jetzt deutlich geworden, dass der Prozess des kulturellen Wandels nach derselben Formel abläuft, die in diesem ganzen Buch dargestellt wurde. Antriebskraft für den Wandel ist die doppelte Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb, in der der Erfolg sich selbst verstärkt und zugleich Wettbewerb erzeugt. Diese Schleifen speisen sich aus einem Gleichgewicht von Populationsvariabilität, die beständig neue Ideen und Kombinationen generiert, und Persistenz, über die Leistungen erhalten bleiben und sich in der Population ausbreiten können. Auch Kooperation spielt eine wesentliche Rolle, weil dadurch die Menschen von den Fähigkeiten der anderen profitieren können. Zusammen fördert beides Leistungen innerhalb von Gruppen und führt zu zunehmendem Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen. Indem Menschen und ihre Gedanken zusammengebracht werden, führt die Kooperation zu einer riesigen Zahl kombinatorischer Möglichkeiten und schafft damit einen ausgedehnten kulturellen Raum, durch den unsere Art sich bewegen kann. Diese Bewegung beruht auf eigenem Antrieb und definiert über das Prinzip der Rekurrenz ihren eigenen Kontext ständig neu.
    Es sind dies dieselben Prinzipien und Wechselwirkungen, die wir auch am Ursprung von Evolution, biologischer Entwicklung und Lernen identifiziert haben. Bei der Evolution ging es um Populationen aus Individuen, die sich in einer bestimmten Umwelt reproduzieren, bei der biologischen Entwicklung um Populationen von Molekülen oder Zellen innerhalb eines wachsenden Embryos, und beim Lernen betraf es Populationen von neuronalen Feuerungsraten im Gehirn. Beim kulturellen Wandel bezieht sich unsere Formel auf Populationen sich wechselseitig beeinflussender Menschen. Für jedes System treiben sich Populationen selbst durch ausgedehnte kombinatorische Räume, den genetischen und den Entwicklungsraum, den neuronalen und den kulturellen Raum. Kultureller Wandel ist unsere vierte Instanz der Formel des Lebens.
    Allerdings sollten wir uns hüten, diese Vergleiche zu weit treiben zu wollen. Kultureller Wandel unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Prozessen. Ein schöpferischer Akt ist etwas ganz anderes als eine Mutation oder ein Zusammenprall von Molekülen, unddie Muster kultureller
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