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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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nicht bemerkten. Menschliche Populationen besitzen also eine vielfältige Werteliste, doch die jeweilige Zusammenstellung variiert. Da aber viele Werte in bestimmten sozialen Gruppen Allgemeingut sind, werden Leistungen, die damit übereinstimmen, zumindest innerhalb dieser Gruppen durch Verstärkung trotzdem verbreitet.
    Was wir wertschätzen, hängt auch stark vom kulturellen Kontext ab. Als Leonardo 30 Jahre alt war, zog er nach Mailand um, das von den Sforza regiert wurde. Anders als die Medici in Florenz, einem Bankiersgeschlecht, waren die Sforza Krieger, die sich auf ihre Streitkräfte stützten. Als Leonardo sich in einem Brief dem Herzog von Mailand Ludovico Sforza vorstellte, setzte er bei der Vorliebe des Herzogs fürs Militärische an:
    Erlauchter Gebieter! Da ich die Proben aller derer, die sich für Meister und Hersteller von Kriegsgeräten ausgeben, nun zur Genüge untersucht und dabei erkannt habe, daß die Erfindungen und Anwendungen der genannten Geräte durchaus nicht ungebräuchlich sind, so will ich mich denn, ohne irgendeinen andern herabzusetzen, um eine Verständigung mit Ew. Hoheit bemühen, indem ich Ihnen meine Geheimnisse offenbare und sie Ihnen ganz zur Verfügung stelle, um zu gegebener Zeit alle die Dinge auszuführen, die hier unten in Kürze aufgeführt werden. 127
    Sodann listet er reihenweise seine Erfindungen auf, mit denen erSforza im militärischen Spiel Vorteile verschaffen wollte. Es finden sich darunter transportable Militärbrücken, Methoden, bei einer Belagerung Wassergräben leerzupumpen, Zerstörungspläne für Festungen, neuartige Kanonentypen und Entwürfe für Panzerwagen. Die Liste zeigt, was nach Leonardos Auffassung Ludovico Sforzas besondere Wertschätzung ernten müsste. Und Sforzas Interessen wiederum bezeugten, wie bedeutsam damals militärische Konflikte zwischen rivalisierenden Familien in Italien waren. Leonardo selbst wurde wenige Jahre nach seiner Niederlassung in Mailand Zeuge der militärischen Vertreibung der Sforza durch die Franzosen.
    Wir sehen an diesem Beispiel, dass kulturelle Werte nicht unverrückbar feststehen; sie beruhen auf dem Kontext, auf sozialen Gruppierungen und den gerade vorherrschenden Themen. Da sie aber von vielen Individuen in einer Population oder sozialen Gruppe geteilt werden, führen sie trotzdem zur Verstärkung der Ideen und Leistungen, die diesen gemeinsamen Werten Rechnung tragen. Verstärkung ist eine Grundvoraussetzung für kulturellen Wandel; denn erst dieser Prozess ermöglicht es bestimmten Leistungen, sich innerhalb einer Population durchzusetzen.
DIE MACHT DES WETTBEWERBS
    Erfolg führt häufig zu Wettbewerb. Wenn eine Idee oder eine Leistung sich verbreitet, nützt sich ihr innovatives Potenzial mit zunehmender Bekanntheit ab. Die Leistung beginnt wirksam gegen sich selbst zu konkurrieren: Ist sie erst der Mehrheit einer Population vertraut, so fällt die Rate, mit der sie sich ausbreitet, ab. Außerdem stimulieren erfolgreiche Leistungen die Konkurrenz durch andere. Als Verrocchio sah, wie gut sich die Gebrüder Pollaiuolo anstellten, begann auch er zu malen, um sich selbst einen Anteil dieses lukrativen Marktes zu sichern. Der Erfolg der Pollaiuolos förderte sogar noch den Wettbewerb. Indem Verrocchio und Leonardo deren Bild Tobias und der Engel sorgfältig studierten, konnten sie sich deren Fortschritte zunutze machen und darauf aufbauend eine noch bessere Version liefern. Dass die Pollaiuolos ihre Leistung anderen vorführten, erwies sich als zweischneidiges Schwert für sie: Natürlich war die Aufmerksamkeit, die ihr zugebilligt wurde, ein Zeichen für ihren Erfolg, aber andererseits provozierte und förderte sie den Wettbewerb. Genauso waren Leonardos späterer Erfolg und seine Berühmtheit ein Antrieb für die Leistungen von Konkurrenten wie Michelangelo. 128 Wir erkennen ein weiteres Beispiel für unsere vertraute doppelte Rückkopplungsschleife, in der die Verstärkung den Wettbewerb antreibt (Abb. 82). Eine mit Wertschätzung belegte Leistung breitet sich durch Kommunikation aus, aber dieser Erfolg begrenzt sich selbst, weil die Neuigkeit sich abnutzt, wenn sie in der Population zum Allgemeingut wird, und weil sie Konkurrenz durch andere anregt.
    (82) Wechselspiel zwischen Verstärkung (positive Rückkopplung) und Wettbewerb (negative Rückkopplung) in der menschlichen Kultur.
    Kultureller Wettbewerb entsteht, weil mehreren Faktoren Grenzen gesetzt sind. Es bestehen Obergrenzen für menschliche
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