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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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Populationen, für die Anzahl der hoch geschätzten Leistungen, für die Belohnungen, die zu vergeben sind. Die Florentiner Gesellschaft kürte nur wenige zu wirklichen Ausnahmekünstlern, und reiche Familien wie die Medici gaben nur eine begrenzte Anzahl von Kunstwerken in Auftrag. Unter solchen Beschränkungen kommt es unvermeidlich zum Wettbewerb. Wäre die Population unbegrenzt, so würden Neuigkeiten nie abstumpfen, weil sie ständig neue Anhänger finden könnten. Und wären Aufträge unbeschränkt und Anerkennung unerschöpflich, so hätte es für Verrocchio und die Pollaiuolos wenig Grund für Wettbewerb gegeben.
    Selbst wenn wir vielleicht glauben, ein Einzelner würde rein aus Neugier oder zur eigenen Befriedigung arbeiten, kommt in der Regel Wettbewerb auf, sobald es um Erfolg oder Anerkennung geht. Darwin brütete viele Jahre lang über seiner Theorie der Evolution durch natürliche Selektion, ohne je etwas davon zu publizieren. Als er aber einen Brief von Alfred Russell Wallace erhielt, in dem dieser dieselbe Theorie skizzierte, erschrak er und fürchtete, Wallace könnte diegesamte Anerkennung für die Entdeckung beanspruchen. Am Ende fanden sie zu einer freundschaftlichen Lösung und veröffentlichten ihre Erkenntnisse gemeinsam; doch die Szene verdeutlicht, dass hinter den Kulissen immer die Konkurrenz lauert. Und als Leonardo dem Herzog von Mailand von seinem Geheimwissen über Kriegsgeräte schrieb, war ihm absolut bewusst, dass eventuelle Konkurrenten ihm seine Einfälle stehlen und damit ihn und den Herzog ihres Vorteils berauben konnten.
    Konkurrenz wird unter Menschen häufig als negativ oder unerwünscht abgestempelt. Dabei spielt sie eine entscheidende Rolle beim Antrieb zum kulturellen Wandel. Hätte Verrocchio nicht mit den Pollaiuolos konkurriert, so hätte er vielleicht nie zu malen begonnen, und Leonardo hätte sich nie so entwickelt, wie er es tat. Wäre Leonardo nicht darauf erpicht gewesen, mit seinen Erfindungen und Einfällen andere auszustechen, so hätte er vielleicht nie solche Leistungen erbracht. Verstärkung und Wettbewerb gehen Hand in Hand. Über Verstärkung finden erfolgreiche Leistungen Verbreitung, und das erzeugt Wettbewerb, der wiederum zu weiteren Leistungen antreibt. Ohne Wettbewerb würde Kultur zum Stillstand kommen.
KOOPERATIVE ANSTRENGUNG
    Als Leonardo in Verrocchios Atelier anheuerte, brachte das beiden Parteien einen Vorteil ein. Leonardo lernte von seinem Meister wichtige Techniken, und Verrocchio profitierte von der Hilfe seines Lehrlings. Das Gemälde Tobias und der Engel , an dem beide Künstler mitgewirkt haben, verkörpert die Kooperation. Ein wichtiger Faktor für diese Beziehung war das räumliche Beisammensein. Wie in anderen Fällen der Kooperation fördert physische Nähe häufig gegenseitige Hilfe und gemeinsame Nutznießung.
    Kooperation spielt im kulturellen Wandel auf vielen Ebenen eine Rolle. Unsere Sprach- und Kommunikationsfähigkeit ist ein Ergebnis der Kooperation zwischen Menschen. Würden wir in völliger Isolation aufwachsen, so würden wir keine differenzierte Sprache erlernen und könnten auch nicht wirksam mit anderen kommunizieren. Und ohne Kommunikationsfähigkeit wären wir nicht in der Lage, von anderen zu profitieren oder unseren Leistungen Persistenz oderVerbreitung zu verschaffen. 129 Sprache und Kommunikation, diese beiden wichtigen Faktoren des kulturellen Wandels, können nur funktionieren, weil Menschen in Gruppen miteinander sprechen und sich gegenseitig beeinflussen. Auch unsere Neigung zum Austausch von Geld und Gütern beruht auf Kooperation. 130 Leonardo lebte von Aufträgen und Zahlungen der Familien Medici und Sforza. Und die Käufer seiner Arbeiten wiederum kamen als Besitzer hoch gerühmter Meisterwerke in den Genuss des entsprechenden Prestiges. Ohne den ökonomischen Vorgang von Austausch und Kooperation hätte Leonardo sich niemals über Wasser halten und das erreichen können, was er geleistet hat.
    Natürlich gibt es noch mehr Ebenen der Kooperation. Leonardo gehörte nicht nur Verrocchios Atelier an, sondern auch der Künstlergilde in Florenz. Das war damals eine von vielen Gilden – daneben gab es die Stoffhändler, Bankiers und Ärzte, und jede Gilde stritt für die Interessen ihrer Mitglieder. Leonardo war außerdem ein Bürger von Florenz, ebenfalls eine Gruppierung, die sich durch gemeinsame Interessen definierte. Ihre Entstehung verdankten diese verschiedenen Gruppierungen dem Wechselspiel zwischen
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