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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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Rolle, aber wie genau der Homo sapiens zur dominanten Menschenart wurde, wird noch immer heftig diskutiert. 138 Zudem beinhaltet der kulturelle Wandel ja Wechselwirkungen zwischen diversen Parametern, und so ist es sicher falsch, nach einer einzigen Ursache zu suchen. Jedenfalls war vor etwa 10000 Jahren der Homo sapiens die einzige verbleibende Menschenart auf der Erde. Er lebte auf allen Kontinenten bis auf die Antarktis, die Weltbevölkerung betrug wenige Millionen. Etwa um diese Zeit lernten Menschen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Samen und Viehbestände wurden wertvoll, weil sie Nahrung für die Zukunft in Aussicht stellten, und es entwickelten und verbreiteten sich Techniken der landwirtschaftlichen Produktion. Die Entwicklung des Ackerbaus stellt auf der Reise unserer Spezies durch den kulturellen Raum einen entscheidenden Schritt dar, weil er Stabilität und zusätzliche Nahrung lieferte, was die Herausbildung weiterer Innovationen und ihre Verbreitung förderte.
    Mit der Verbesserung des Transports und der landwirtschaftlichen Technik begann der Mensch vor etwa 5000 Jahren entlang den furchtbaren Flusstälern größere organisierte Ansammlungen oder Zivilisationen herauszubilden: in Ägypten am Nil, in Mesopotamien (dem heutigen Irak) an Euphrat und Tigris, in Pakistan am Indus und in China am Huang He (Gelber Fluss). Mit Kooperation und Wettbewerb der Zivilisationen sowie dem Aufkommen neuer Kulturen nahm unsere Reise durch den kulturellen Raum ihren Lauf, und mit Hilfe von Innovationen wie Schrift und Geld wurden neue Richtungen ausgelotet. Die stetig wachsende Fähigkeit des Menschen, sich Nahrung und Ressourcen nutzbar zu machen, ließ die Bevölkerungwachsen. Vor 2000 Jahren betrug die Weltbevölkerung etwa 200 Millionen Menschen. Die Populationsexpansion geht bis heute weiter; einen großen Fortschritt gab es im 19. Jahrhundert wegen der verbesserten Fähigkeit, aus fossilen Ölen Energie zu gewinnen, und im 20. Jahrhundert wegen der Entwicklung von Medizin, Hygiene und intensiver Landwirtschaft. Unsere Position im kulturellen Raum spiegelt heute die Gewohnheiten, Ziele und Leistungen von 7 Milliarden Menschen. Und natürlich ist unsere Spezies kulturell weiterhin in Bewegung.
    Die Spezies Mensch ist unterwegs auf einem bestimmten Weg durch einen unvorstellbar weiten kulturellen Raum. Was treibt uns immer weiter voran?
ANTRIEB VERGANGENHEIT
    Alle Prinzipien, die wir in diesem Kapitel bisher besprochen haben, wirken in bestimmten sozialen Kontexten. Welche Varianten in menschlichen Populationen auftreten, wie sie fortbestehen, welche Werte sie verstärken, wie die Menschen untereinander konkurrieren, kooperieren und sich zusammentun: All diese Faktoren gelten für bestimmte soziale Situationen, etwa die Bevölkerung von Florenz im 15. Jahrhundert. Diese Kontexte oder sozialen Situationen aber sind nicht unveränderlich; sie wandeln sich gerade in den Prozessen, die wir aufgezeigt haben. Indem Verrocchio und Leonardo auf die Pollaiuolos und ihr Gemälde Tobias und der Engel reagierten, veränderten sie den künstlerischen Kontext, indem sie ihre eigene Version erschufen. Ihre Malerei setzte neue Standards, auf die andere reagieren konnten. Und immer weiter geht die Geschichte mit anderen Malern, von Michelangelo bis Monet. Selbst wenn jemand dezidiert negativ auf die Vorgänger reagiert so wie die Kubisten, die gegen die Regeln der Perspektive rebellierten, spielt doch das Vorausgegangene als Auslöser dieser Reaktion eine entscheidende Rolle. Ein Kontext liefert den Keim für den nächsten.
    Ähnliche Überlegungen gelten bei militärischen Leistungen. Nur weil Kanonen bereits erfunden und allgemein in Gebrauch waren, konnte Leonardo daran bestimmte Verbesserungen vornehmen. Sobald die Verbesserungen bekannt wurden, begannen alle Armeensie einzusetzen; damit wurden weitere Verbesserungen nötig, um im Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Deswegen sicherte Leonardo dem Herzog von Mailand in seinem Schreiben Geheimhaltung zu. Jede militärische Erfindung beruht nicht nur auf dem Vorausgegangenen, sondern bringt den Prozess auch voran, indem sie den Kontext verändert. Genauso liefert jede wissenschaftliche Theorie, die allgemein Anerkennung findet, die Grundlage für weitere Forschungen und wissenschaftliche Fortentwicklung. Das kann zur Ausdifferenzierung der Theorie führen oder dazu, dass sie zu Gunsten einer neuen, besseren Theorie verworfen wird. Kontexte liefern den Keim für ihren eigenen
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