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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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gerüstet, zu beurteilen, warum die Theorie der natürlichen Selektion keinen Zirkelschluss darstellt. Wie eben ausgeführt, kann allein durch Stichprobenentnahme (Gendrift) eine Form in einer Population überleben und eine andere ersetzen. Das ist wichtig, weil es beweist, dass eine Population sich auch dann entwickeln und ihre genetische Veranlagung verändern kann, wenn keine natürliche Selektion stattfindet. Evolution und natürliche Selektion sind nicht ein und dasselbe. Bei der natürlichen Selektion bezeichnet das Wort the fittest nicht die, die am Ende in der Population überleben. Dann nämlich würden wir behaupten, dass eine schwarze Kugel »fitter« oder besser gewesen sei als eine weiße, obwohl sich ihre Nachkommen nur durch wiederholte Stichprobenentnahme durchgesetzt haben, ganz ohne irgendeinen Vorteil gegenüber der weißen zu besitzen. »Fitness« bedeutet etwas ganz anderes. Es steht nicht für die, die am Ende überleben, sondern beruht, wie wir jetzt sehen werden, auf einer Verzerrung des Wettbewerbs.
DIE KOMBINATION DER PRINZIPIEN
    Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die schwarzen und weißen Kugeln in unserem Lotto-Ziehungsgerät dieselbe Fortpflanzungsfähigkeit aufweisen und um die Plätze in der Stichprobenpopulation konkurrieren. Deshalb hatten sie gleich große Chancen, am Ende diePopulation zu dominieren. Jetzt wollen wir untersuchen, was geschieht, wenn wir in ihren Eigenschaften einen Unterschied einführen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass die schwarzen Kugeln eine höhere Fortpflanzungsrate aufweisen als die weißen. Dieselbe Situation haben wir schon beim Prinzip der Verstärkung besprochen, aber jetzt kombinieren wir sie mit der Vorstellung von einem Lotto-Ziehungsgerät, das für die Stichprobe nur eine begrenzte Zahl von Plätzen bietet (Wettbewerb). Nach der Entnahme der Stichprobe führt die größere Reproduktionsfähigkeit der schwarzen Kugeln dazu, dass ihre Anzahl stärker anwächst. Ihr Anteil an der nächsten Generation wird demnach tendenziell größer sein, und es ergibt sich eine Verzerrung zugunsten von Schwarz. Diese Verzerrung wird in jeder Generation noch verstärkt, so dass es über mehrere Generationen der Stichprobenentnahme hinweg wahrscheinlicher wird, dass die Population sich auf schwarze Kugeln festigt und nicht auf weiße.
    Mit der Kombination von Verstärkung (der höheren Fortpflanzungsrate bei den schwarzen Kugeln) und Wettbewerb haben sich zwei Dinge verändert. Erstens ist es jetzt wahrscheinlicher, dass die Population sich auf Schwarz festigt statt auf Weiß: Das System hat sich in Richtung der Farbe verzerrt, die sich besser repliziert. Und zweitens wächst der Anteil schwarzer Kugeln tendenziell schneller an als im Fall ausgeglichener Reproduktionsfähigkeit. Das liegt daran, dass der Anteil schwarzer Kugeln in jeder Generation noch erhöht wird und damit immer schneller zunimmt. Gegen Ende freilich wächst der Anteil schwarzer Kugeln weniger schnell, wenn Schwarz im Ziehungsgerät immer stärker überwiegt. Mit Abnahme des weißen Anteils nämlich konkurrieren schwarze Kugeln allmählich immer stärker mit anderen schwarzen um einen Platz in der Stichprobe. Der Erfolg der schwarzen Kugeln erzeugt selbst die Drosselung ihrer Wachstumsrate. Trotzdem aber kommt es insgesamt schneller zur Festigung, als wenn Schwarz keinen Vorteil gegenüber Weiß hätte. Mit diesen beiden Effekten, dem verzerrten Ergebnis und der schnelleren Festigung, begründen Evolutionsbiologen häufig den Rückschluss, dass in einer Population vor allem natürliche Selektion am Werk ist und nicht einfach nur Gendrift.
    Auch auf andere Weise können die Chancen für Schwarz gestärkt werden. Nehmen wir an, die schwarzen Kugeln sind etwas schwerer als die weißen und halten sich tendenziell näher am Boden des Gerätsauf, so dass sie auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe gelangen. Die schwarzen Kugeln dominieren demnach die weißen beim Wettkampf um einen Platz in der Stichprobenpopulation. (Bei Menschen entspricht das einem Wettbewerb zwischen Teilnehmern, die nicht die gleiche Eignung aufweisen, bei dem also die Besseren mit größerer Wahrscheinlichkeit gewinnen.) Dass die Stichprobe nun mehr schwarze Kugeln enthält, bedeutet ebenfalls, dass sie tendenziell mehr zur nächsten Generation beitragen, selbst wenn Schwarz sich mit derselben Rate repliziert wie Weiß. Dieser Vorteil der schwarzen Kugeln wird in jeder nachfolgenden Generation verstärkt, so dass

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