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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Konterkariert wird dieser Prozess aber durch die Spannungen, die er in den Nachbarregionen generiert. Das führt zur Wettbewerb um Raum. Daraus ergibt sich insgesamt, dass die Leinwand verschiedentlich deformiert wird.
    Bei unserer Cézanne-Deformation wurde das Wachstum von den Farben im fertigen Gemälde verändert. Jetzt stellen wir uns vor, dasselbe passiert, während das Gemälde noch im Entstehen ist. Ein Fleck Gelb würde eine Region stärker wachsen lassen; ein Streifen Rot, der später darauf angebracht wird, könnte das Wachstum verlangsamen. Regionen drücken und zerren kontinuierlich an- und gegeneinander, während das Gemälde fortschreitet, sie verstärkensich selbst beständig und konkurrieren miteinander um Raum. Außer zu einem Farbmuster würden solche Zauberfarben auch dazu führen, dass die Leinwand in alle möglichen Richtungen deformiert wird. Dieser Prozess wiederum würde den Kontext der Leinwand verändern, die Anordnung der Farben im Raum, und damit den nächsten Schritt des Prozesses beeinflussen.
    Regulatorproteine verhalten sich wie Zauberfarben – sie generieren nicht nur Muster, sondern beeinflussen auch das Wachstum der Pflanze oder des Tiers; und zwar indem sie die Gene steuern, die an der physischen Konstruktion des Organismus beteiligt sind. Erinnern wir uns, dass das Genom viele Tausend Gene enthält. Nicht alle diese Gene codieren für Regulatorproteine. Viele davon programmieren Proteine, die die physischen Eigenschaften von Zellen beeinflussen, etwa ihr Wachstum, ihre Form, Stärke und Fixierung. Die verschiedenen Regulatorproteine beeinflussen die Aktivität dieser Gene und wirken so auf Wachstum und Form des Organismus ein. Deswegen können Mutationen, bei denen die Gene, die für diese Proteine codieren, zerstört werden, zu Veränderungen im Erscheinungsbild des Organismus führen – etwa zu einer Fliege mit fehlenden Segmenten oder mit einem zusätzlichen Paar Flügel.
    Ein gutes Beispiel dafür, wie es durch Genaktivität zu Deformationen kommen kann, ist das Wachstum des Löwenmäulchens (Antirrhinum) . Links auf Abbildung 31 sehen wir eine vereinfachende Darstellung dieser Blume in einem frühen Entwicklungsstadium, wenn die Knospe etwa einen Millimeter dick ist. In diesem Stadium bilden die Blütenblätter ein kleines zylindrisches Rohr mit fünf darüber angeordneten Lappen. Diese Anordnung stellen wir uns als ursprüngliche Leinwand zu Beginn des Malens vor. Verschiedene auf ihren fünf Segmenten angezeichnete Regionen spiegeln einige der Genaktivitätsmuster, die in diesem Stadium bereits eingerichtet worden sind. Zum Beispiel werden in den schwarz dargestellten Regionen die Regulatorproteine CYC und DICH produziert. Die Regulatorproteine in der Blütenknospe können wir als Zauberfarben verwenden, die das Wachstum der Leinwand im Computer beeinflussen. Jede Region versucht, auf ihre bestimmte Weise zu wachsen, und der Computer simuliert, wie sie an anderen Regionen schiebt und zerrt und damit die Deformation der Leinwand bewirkt. 39 Dabei beeinflussen die Farben nicht nur die jeweilige Wachstumsrate, sondern auch die Wachstumsrichtung. Ein Farbgradient zum Beispiel kann über den Gradienten hinweg zu zunehmendem Wachstum führen.
    (31) Computersimuliertes Wachstum einer normalen (links) und einer mutierten Löwenmäulchenblüte (rechts).
    Diese verschiedenen Wechselwirkungen ergeben schließlich die Löwenmäulchenblüte in der Mitte von Abbildung 31. Sie ist im Verhältnis zur ursprünglichen Leinwand viel größer als in unserer Abbildung (500 Mal in der Fläche), aber zur besseren Vergleichbarkeit haben wir sie hier verkleinert. Die Form der Blüte ergab sich automatisch aus der wechselseitigen Wirkung der Gene und ihrem Einfluss auf die lokalen Wachstumseigenschaften der Leinwand. Die erreichte Form ist nicht nur die eines Löwenmäulchens, vielmehr folgt der Prozess auch ganz den Regeln, nach denen die verschiedenen Regionen der Blüte bekanntermaßen wachsen und sich entwickeln. Würden wir nun einige Regulatorproteine aus der sich entwickelnden Blüte entfernen, etwa die in der schwarzen Region, so wäre das Ergebnis eine andere Blütenform wie rechts in Abbildung 31. Diese Blütenform ist die eines Löwenmäulchen-Mutanten, der die Regulatorproteine CYC und DICH nicht herstellen kann.
    Ich habe hier viel Wert auf das Wachstum gelegt; dieselben Prinzipien gelten aber auch für das Gegenteil, nämlich die Schrumpfung. Einige unserer Zauberfarben können

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