Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
abbildet, entsteht über rekurrente Musterbildung, Wachstum, Tod und Neuanordnung einer dreidimensionalen Leinwand und beruht auf den verschiedenen Prinzipien, denen wir bereits begegnet sind.
EINE GEMEINSAME FORMEL
Im vorigen Kapitel haben wir erfahren, wie die biologische Entwicklung von einer doppelten Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb bedingt wird. Moleküle wie Regulatorproteine können ihre eigene Konzentration oder Aktivität steigern oder auch ihre eigene Hemmung bewirken. Diese Rückkopplungsschleife erhält ihren Antrieb aus Kollisionen zwischen zahlreichen Molekülen (Populationsvariabilität) und wird im Gleichgewicht gehalten durch eine gewisse Stabilität der Moleküle (Persistenz). In diesem Kapitel haben wir dargestellt, welche Schlüsselrolle einige weitere Parameter spielen. Dazu gehört, dass benachbarte Moleküle und Zellen aufeinander einwirken und eng kooperieren. Die Kooperation zahlreicher Komponenten führt zu einer gewaltigen Bandbreite kombinatorischer Möglichkeiten, einem riesigen Entwicklungsraum von Molekül- und Zellkombinationen. Embryonen unternehmen eine Odyssee durch diesen unermesslichen Raum, indem sie wiederholt unsere doppelte Rückkopplungsschleife anwenden, beständig ihren eigenen Kontext modifizieren und damit die Kulisse schaffen, die sie weiter zum nächsten Schritt der Reise treibt. Im Lauf dieses Prozesses wächst der Embryo, deformiert sich und unterliegt in unterschiedlichen Maßstäben der Musterbildung.
Diese Konstellation von Parametern und Wechselwirkungen ähnelt stark dem, was wir in Kapitel 1 und 2 für die Evolution herausgearbeitet haben. Auch dort hatten wir eine doppelte Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb identifiziert, die von Populationsvariabilität und Persistenz angetrieben wurde. Auch dort spielte Kooperation eine wesentliche Rolle, da sie zu integrierten Einheiten wie Genen oder Individuen führte. Durch die Kombination einzelner Komponenten schuf die Kooperation außerdem einen weiten Raum der Möglichkeiten, nämlich die gewaltige Bandbreite möglicher DNA-Sequenzen. Getrieben wurden die Populationen durch diesen Hyperraum von der unersättlichen Rückkopplungsschleife, die immer wieder den Kontext verändert und damit die Populationen in Bewegung hält. Wie die biologische Entwicklung wird auch die Evolution von ihrer Vergangenheit vorangetrieben und nicht etwa von ihrer Zukunft angezogen.
Wir sehen jetzt, dass Evolution und biologische Entwicklung beide auf einem ähnlichen Zusammenspiel unserer sieben Prinzipien beruhen: Populationsvariabilität, Persistenz, Verstärkung, Wettbewerb, Kooperation, kombinatorischer Reichtum und Rekurrenz. Evolution und biologische Entwicklung sind unterschiedliche Erscheinungsformen dessen, was ich als Formel des Lebens bezeichne. Die Evolution greift dabei an Populationen von Individuen in einer bestimmten Umwelt und führt zu verschiedenen Lebensformen, die sich im Lauf vieler Generationen herausbilden. Die biologische Entwicklung greift an Populationen von Molekülen und Zellen innerhalb desselben Individuums und führt zur Herausbildung eines Erwachsenen in einer einzigen Generation. Die beiden Prozesse unterscheiden sich in vielen Punkten sehr stark voneinander, doch wir erkennen hinter diesen unterschiedlichen Ausprägungen eine gemeinsame Form.
Natürlich habe ich Evolution und biologische Entwicklung so dargestellt, dass diese Gemeinsamkeiten besonders ins Auge springen. Diesen Ansatz habe ich deshalb gewählt, weil er uns das Wesentliche in jedem Prozess besser erkennen lässt. Betrachten wir Evolution und biologische Entwicklung unabhängig voneinander, so können wir für beide je eine Reihe von Prinzipien definieren, würden aber wahrscheinlich nicht auf meine Formelhaftigkeit stoßen. Und tatsächlich wird keiner der beiden Prozesse üblicherweise über die sieben aufeinander einwirkenden Prinzipien dargestellt, die ich heranziehe. Treten wir aber einen Schritt zurück und vergleichen die Prozesse, so gewinnen wir einen Eindruck davon, was allgemeingültig und was für jeden Fall besonders ist, und so können wir ihr grundlegendes Funktionieren besser begreifen. In den weiteren Kapiteln werden wir sehen, dass sich über denselben Ansatz auch andere Wandlungsprozesse betrachten lassen, etwa Lernen und kultureller Wandel.
Trotz der grundsätzlichen formalen Ähnlichkeit sind wir auch auf einen entscheidenden Unterschied zwischen Evolution und
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