Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
biologischen Entwicklung eines echten Zebras vor sich geht?
Es gibt mehrere Zebraarten mit unterschiedlich vielen Streifen. Das Burchell-Zebra (Equus burchelli) hat etwa 25 Streifen, das Bergzebra (E. zebra) etwa 40 Streifen und das Grevy-Zebra (E. grevyi) etwa 80 (Abb. 28). (Der Anzahl und dem Muster der Streifen nach zu schließen, muss Stubbs ein Bergzebra gemalt haben.) Nach Jonathan Bard steht die Variabilität zwischen den verschiedenen Zebraarten im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Musterbildung im Embryo. 38 Die streifenbildenden Muster entwickeln sich bei Zebraembryonen wohl im Alter von wenigen Wochen, wie es der linke Teil von Abbildung 28 zeigt. Bard stellte fest, dass diese Streifen zunächstalle in regelmäßigen Intervallen auftreten, im Abstand von etwa 0,4 Millimetern von Streifenmitte zu Streifenmitte. Kommt es im Alter von 21 Tagen, wenn der Embryo noch relativ klein ist, zur Musterbildung dieser ersten Streifen, haben nur etwa 25 Regionen von 0,4 Millimetern Länge darauf Platz wie beim Burchell-Zebra. Wird das Muster hingegen erst später angelegt, wenn der Embryo schon größer ist, so passen mehr Streifen hinein, und es kommt am Ende zu Mustern wie beim Berg- oder beim Grevy-Zebra.
(28) Streifenbildung bei verschiedenen Zebraarten.
Dieses Beispiel belegt eine wechselseitige Beeinflussung von Musterbildung und Wachstum. Im Lauf der biologischen Entwicklung steigt die Zahl der Zellen schnell an, was häufig mit einem Größenwachstum einhergeht. Das wäre, als ob eine Leinwand ständig größer wird, während der Künstler darauf malt. Das hört sich zwar vielleicht schwieriger an, als auf einer festen Leinwand zu malen, aber andererseits wird so auch alles einfacher. Wir brauchen hier nicht immer feinere Pinsel, um weiter ins Detail gehen zu können,sondern können die ganze Zeit mit derselben Pinselgröße arbeiten. So nämlich sorgt dieser selbe Pinsel für grobe Unterscheidungen, wenn die Leinwand noch klein ist, aber für sehr viel feinere, wenn die Leinwand schon groß ist. Genau das passiert beim Beispiel der Zebraentwicklung. Wenn die Streifen zum ersten Mal auftreten, sind sie immer 0,4 Millimeter voneinander entfernt. Variabel ist dagegen die Größe des Embryos, so dass bei späterem Auftreten dieser Streifen schon mehr davon hineinpassen – und das erwachsene Tier hat dann feinere Unterteilungen.
Dasselbe Zusammenspiel von Wachstum und Musterbildung gilt für viele weitere Aspekte der biologischen Entwicklung. Zwar wird das Muster der Regulatorproteine während des Entstehens der Fliege immer filigraner, aber zugleich nimmt auch die Zahl der Zellen oder Zellkerne ständig zu; auf Zellen bezogen verändert sich der Maßstab der Musterbildung also gar nicht so stark. Das heißt, dass bei fortschreitender Entwicklung immer wieder ähnliche Prinzipien der lokalen Wechselwirkung und des Signalaustauschs zwischen Zellen angewandt werden und diese in vielen Maßstäben Muster ergeben können, so wie man auf einer wachsenden Leinwand immer denselben Pinsel verwenden und doch unterschiedlich detailliert arbeiten kann.
Damit wir uns besser vorstellen können, was dieses Zusammenspiel von Wachstum und Musterbildung bedeutet, nehmen wir an, wir befänden uns im Zellkern eines sich entwickelnden Embryos und stünden vor der Entscheidung, ob bestimmte Gene an- oder abgeschaltet werden sollen. Diese Entscheidung ist immer relativ, beruht also auf lokaler Kommunikation mit den benachbarten Zellen und Zellkernen. In frühen Entwicklungsstadien, wenn die Gesamtzahl der Zellen noch gering ist, ist ein großer Teil des Embryos benachbart; wir erhalten also Informationen über alles, was im gesamten Embryo geschieht. Auf der Grundlage dieser Information entscheiden wir vielleicht, dass wir uns am Kopfende befinden, und schalten die entsprechenden Gene an. Bei fortschreitender Entwicklung aber entstehen mehr und mehr Zellen, unsere Nachbarzellen stellen also nur noch einen kleineren Teil des Embryos dar, und unser Überblick über das Gesamtbild schränkt sich zunehmend ein. Demnach fallen unsere Entscheidungen auch in kleinerem Maßstab. Zuvor hatten wir entschieden, dass wir uns am Kopfende des Embryos befinden;jetzt versuchen wir zu entscheiden, wo im Kopf wir uns aufhalten. Vielleicht merken wir, dass wir eher vorne am Kopf liegen, wo sich die Augen bilden werden; also schalten wir die nächste Gruppe von Genen an, die zu dieser Lage passen. In jedem Stadium legen wir uns auf eine
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