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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Entscheidung fest und bauen über lokale Wechselwirkung darauf auf. Da die Zellen während der embryonalen Musterbildung immer zahlreicher werden, brauchen wir keine besonderen Mechanismen, die für die immer steigende Detailgenauigkeit sorgen.
DEFORMATION
    Etliche Grundprinzipien der biologischen Entwicklung sind nun geklärt; eine Frage aber müssen wir noch beantworten, um das Bild zu vervollständigen. Biologische Entwicklung ist schließlich nicht nur Musterbildung und Maßstabsverschiebung. Der erwachsene Organismus ist nicht einfach eine vergrößerte Version der Eizelle; sonst wären wir nur große hüpfende Kugeln. Pflanzen und Tiere aber wachsen während ihres Entwicklungsprozesses an bestimmten Stellen und in bestimmte Richtungen. Ein Blatt ragt seitlich von einem Stiel, ein Bein wächst aus einem Körper heraus. Unsere Leinwand wächst nicht gleichmäßig, sondern dehnt sich oder schrumpft nach einem bestimmten Muster.
    (29)  Äpfel und Kekse . Paul Cézanne, um 1880 und deformierte Version nach Wachstum an gelben Stellen.
    Betrachten wir Abbildung 29. Oben sehen wir Cézannes Äpfel und Kekse mit mehreren roten (auf dem Schwarzweißfoto dunkelgrauen) und gelben (hellgrauen) Äpfeln auf einem Tisch. Wir stellen uns vor, diese Leinwand bestünde aus einem besonderen Material, das in einem bestimmten Tempo wächst. Mit der Zeit wird die Leinwand nach den Regeln des exponentiellen Wachstums immer größer. Bestimmte Farben auf der Leinwand, etwa Gelb, verfügen überdies über die Zauberkraft, ihre lokale Wachstumsrate zu steigern. Im unteren Teil von Abbildung 29 sehen wir das Ergebnis, das die Computersimulation eines solchen Wachstums generiert. Die Leinwand ist insgesamt gewachsen und hat zudem ihre Form verändert, weil die gelben (hellgrauen) Äpfel ihre Größe disproportional gesteigert haben.
    Allerdings stellen wir fest, dass die Äpfel links noch größer geworden sind als die anderen gelben Äpfel. Wie kommt es dazu? Hier treffen wir wieder auf Verstärkung und Wettbewerb. Gelbe Regionenauf der Leinwand versuchen, stärker zu wachsen als andere Regionen. Wären sie ganz auf sich gestellt, würden die gelben Äpfel immer größer werden, weil sie ihren Größenvorteil nach den Regeln des exponentiellen Wachstums beständig verstärken würden. Doch die gelben Äpfel sind eben nicht allein; sie stehen in Verbindung mit dem Rest der Leinwand. Ist also ein wachsender gelber Apfel von andersfarbigen Regionen umgeben, so versucht er beim Wachsen, die Nachbarregionen zu besetzen und auszudehnen, indem er sie zu so großem Wachstum zwingt, dass sie sich der immer größeren Ausdehnung des gelben Apfels anpassen. Die Nachbarregionen aber versuchen, dieser Dehnung zu widerstehen, weil sie in ihrem eigenen Rhythmus wachsen wollen. Dieser Konflikt zwischen dem gelben Apfel und seiner Umgebung schafft Kräfte oder Spannungen in der Leinwand, die dem Wachstum des gelben Apfels entgegenwirken. Zwischen dem gelben Apfel und seinen Nachbarn entsteht Wettbewerb um Raum. Schließlich kommt es zum Kompromiss, so dass die gelben Äpfel weniger stark wachsen, als sie möchten, während die Nachbarregionen stärker wachsen, als sie eigentlich vorhatten. Der Apfel ganz links wird vom langsam wachsenden Material weniger eingeschränkt, weil er näher am Rand der Leinwand liegt. Deswegen kommt er seiner programmierten Wachstumsrate näher und ist schließlich größer als die anderen gelben Äpfel.
    Der Konflikt zwischen dem gelben Apfel und seiner Umgebung lässt sich teilweise auch dadurch lösen, dass die Leinwand sich aus der Ebene heraus deformiert. Abbildung 30 zeigt das Ergebnis derselben Wachstumsregeln wie eben, nur dass die Leinwand sich diesmal aufwölben und dreidimensional deformieren darf. Die gelben Äpfel haben auf der Leinwand Ausbuchtungen oder Schwellungen gebildet. Damit können sie nämlich weiter wachsen, ohne dabei so stark auf ihre Nachbarregionen zugreifen zu müssen. Diese Aufwölbung nach außen ergibt sich automatisch aus den Kräften, die die gelben Äpfel mit ihrem Versuch generieren, stärker zu expandieren als ihre Nachbarn.
    (30) Deformation von Äpfel und Kekse , wenn die Leinwand sich dreidimensional aufwölben darf.
    Indem wir auf unserer Leinwand differenziertes Wachstum zulassen, führen wir auch eine neue Form von Verstärkung und Wettbewerb ein. Verstärkung ergibt sich, weil schneller wachsende Regionen ihre eigene Größe nach den Regeln des exponentiellen Wachstums fördern.

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