Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
zweidimensional, während Pflanzen und Tiere komplexe dreidimensionale Baupläne aufweisen. George Stubbs illustrierte die dreidimensionale Anatomie von Pferden, indem er ihren inneren Aufbau nachzeichnete. Auf einem Bauernhof hängte er einen Pferdekadaver auf und löste monatelang eine Schicht des Tiers nach der anderen ab; er zeichnete zunächst die äußeren Muskeln (Abb. 34) und gelangte am Ende bis zum Skelett. Er arbeitete äußerst akribisch, und das wahrscheinlich unter unerträglichem Gestank. Stubbs veröffentlichte seine Ergebnisse schließlich in einem monumentalen Werk, The Anatomy of the Horse, der besten zeitgenössischen anatomischen Beschreibung des Tieres. 42
(34) Studie aus The Anatomy of the Horse , George Stubbs 1766.
Herausgebildet wird eine derart komplexe Anatomie in den verschiedenen Prozessen, die wir bereits dargestellt haben. Wir müssen uns jetzt nur vorstellen, dass sie nicht auf zwei-, sondern auf dreidimensionalen Leinwänden ablaufen. Um eine Vorstellung zu bekommen, was bei diesen dreidimensionalen Deformationen abläuft, betrachten wir in Abbildung 35 einige Schlüsselregionen bei einem typischen Wirbeltierembryo. In diesem Stadium ist die anfangs kugelförmige Eizelle bereits zu einem dreidimensional gekrümmten Embryo umgeformt worden. Wie wir es bei dem Fliegenembryo beobachtet haben, wurde der Embryo mit Themen und Variationen (siehe die unterschiedlich dunklen Regionen) kunstvoll ausgemalt. Wir wollen nun betrachten, was mit einigen dieser Regionen geschieht.
(35) Schematische Darstellung vom Embryo eines Wirbeltiers.
Längs über den Embryo verläuft eine Folge von sich wiederholenden Segmenten, den so genannten Somiten. Die Somiten sind vom Kopf her in einer Sequenz angelegt, bei der wiederholt verschiedene Gene angeschaltet werden, etwa so wie bei den sich wiederholenden Fruchtfarben während der biologischen Entwicklung der Fliege. Überlagert wird dieses repetitive Thema dann mit Variationen, darunter weiteren Regulatorproteinen, die von Kopf bis Schwanz variieren. Bestimmte Regionen der Somiten exprimieren Regulatorproteine, die über Zellvermehrung die Herausbildung der sich wiederholenden Einheiten der Wirbelsäule (Wirbel) veranlassen. Andere Zellen mit einer anderen Kombination von Regulatorproteinen vermehren sich ebenfalls und wandern nach außen zu den Gliedmaßen, wo sie die Gene anschalten, die für die Entstehung von Muskeln gebraucht werden. Ein großer Teil der Muskel- und Skelettanatomie, die auf Stubbs’ Zeichnungen zu sehen ist, ist ein Produkt der Somiten.
Eine weitere Kernstruktur, die längs über den Embryo verläuft, ist ein langes, hohles Rohr, das so genannte Neuralrohr (Abb. 35). Die Wand des Neuralrohrs besteht aus einer einzigen Zellschicht. Wie die Somiten ist das Neuralrohr über die Länge des Embryos in getrennte Regionen unterteilt. Ein Großteil des Neuralrohrs im Rücken entwickelt sich durch Zellteilung weiter zu den verschiedenen Elementen des Rückenmarks und des Nervensystems; die Region in Kopfnähe bildet das Gehirn aus. Dazu wächst das Kopfende des Neuralrohrs zu einem bestimmten Zeitpunkt an und wölbt sich zu zwei gepaarten Halbkugeln aus. Die Wand dieser Halbkugelnist anfangs nur eine Zellschicht dick, doch bei fortschreitendem Wachstum und Zellteilung beginnen die Zellen, übereinander zu klettern und die Kleinhirnrinde zu bilden, eine Struktur aus mehreren Zellschichten. Der sich entwickelnde Cortex ist auf seiner Oberfläche wiederum in Regionen unterteilt, die verschiedene Regulatorproteine exprimieren. Ein Regulatorprotein ist zum Beispiel am hinteren Ende des Cortex in höherer Konzentration vorhanden (Abb. 36, links). 43 Ein anderes Regulatorprotein hingegen wird am seitlichen vorderen Ende stärker exprimiert (Abb. 36, Mitte). Diese Regulatorproteine gemeinsam mit den dazugehörigen Signalmolekülen veranlassen den Cortex, Regionen mit unterschiedlichen Funktionen herauszubilden, etwa solche, die mit Bewegung, Körperempfindung, Hören und Sehen zu tun haben (Abb. 36, rechts). Mäuse, denen eines oder mehrere dieser Regulatorproteine fehlen, entwickeln Gehirne, bei denen die Größenverhältnisse dieser Regionen verändert sind.
(36) Entwicklung der Kleinhirnrinde mit Mustern von Schlüssel-Regulatorproteinen (links und Mitte) sowie den daraus resultierenden funktionalen Regionen, die an Bewegung (B), Körperempfindung (K), Hören (H) und Sehen (S) beteiligt sind (rechts).
Die Anatomie, die Stubbs
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