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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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mit einem vom Kopf zum Schwanz verlaufenden Gradienten des Bicoid-Proteins, dargestellt durch Äpfel. Wie entsteht dieser Gradient? Dazu müssen wir die Mutterfliege mit ins Spiel nehmen. Die Eizelle wird im Mutterleib nicht isoliert herausgebildet, sondern ist an einem ihrer Pole mit Zellen verbunden, die der Eizelle verschiedene Komponenten liefern, darunter auch RNA-Kopien des Bicoid -Gens (wir erinnern uns: RNA ist ein informationstragendes Molekül, das zur Synthese eines Proteins benötigt wird). Diese RNA-Kopien sind anfangs am Kopfende der Eizelle verankert, wo sie Bicoid-Proteine (Äpfel) herstellen. RNA und Bicoid breiten sich daraufhin in der Eizelle aus und bilden einen vom Kopf zum Schwanz verlaufenden Gradienten. 36 Der Apfel-Gradient im frühen Embryo verweist also zurück auf einen noch früheren Kontext, nämlich die Eizelle und die umliegenden Zellen im Mutterleib. Gehen wir also im Kontext des Embryos immer weiter zurück, so befinden wir uns im Kontext der Mutter.
    Jetzt lautet aber die Frage, was die Eizelle und ihre Nachbarzellen im Mutterleib zur Musterbildung treibt. Das wiederum hängt davon ab, wie die Mutterfliege selbst sich entwickelt hat. Den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Organismus kann man also als Entwicklungsergebnis der vorausgehenden Generation betrachten. Wir haben demnach keinen eindeutigen Anfangspunkt, sondern unsere Reise durch den Entwicklungsraum ist ein Zyklus, bei dem die Reise jedes Erwachsenen den Kontext für die Reise seiner Nachkommen schafft. Wie bei der Odyssee handelt es sich um eine Reise, die an den Ursprung zurückführt. In diesem Kontext fällt uns die Frage nach der Henne und dem Ei ein: Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Zum Problem wird das aber nur, wenn wir einen eindeutigen Anfangspunkt definieren möchten. So, als würden wir einen Kreis als Problem bezeichnen, weil wir keinen Anfang und kein Ende definieren können. Ein wirkliches Problem ist das aber gar nicht, sondern einfach nur die Natur des Kreises. Genauso bildet der Weg des Embryos durch den Entwicklungsraum einen Kreis, bei dem ein Durchlauf zum nächsten Kreis führt. Die eigentliche Frage lautet nicht, wo der genaue Anfangspunkt liegt, sondern wie der Embryo auf diesem Weg vorankommt. Wir haben bereits geklärt, dass dieser Entwicklungsweg auf die wiederholte Anwendung derselben Serie von Grundprinzipien zurückzuführen ist, so dass der Embryo von seinem Kontext immer weiter vorangetrieben wird und ihn zugleich auch selbst verändert. Durch diesen Prozess wird der Embryo von einfachen Anfängen in ein kompliziertes vielzelliges Individuum umgewandelt.
    Wie wir gesehen haben, kann die Rekurrenz in einem Embryo zur Ausarbeitung von Mustern führen. Wie aber kann ein einziger Prozesstypus, der einfach nur immer wieder wiederholt wird, für Muster in so vielen und so unterschiedlichen Maßstäben verantwortlich sein – vom Grundschema des Körperbaus bis zur genauen Anordnung der Zellen im Auge oder in einem Blatt? Wir müssen dazu etwas genauer einen Prozess betrachten, der unauffällig in den Kulissen unserer Entwicklungsreise abgelaufen ist: das Wachstum.
DIE WACHSENDE LEINWAND
    George Stubbs war von Pferden besessen. 37 Stubbs wurde 1724 in Liverpool geboren und ursprünglich als Porträtmaler ausgebildet, doch mit der Zeit interessierte er sich statt für Menschen immer mehr für Pferde. Er erwarb sich einen einzigartigen Ruf als Pferdemaler und erhielt verschiedenste Aufträge für die Abbildung von Pferden mit ihrem Besitzer, in Gruppen bei der Jagd oder auf der Rennbahn. Kein Wunder also, dass Stubbs, als 1762 zum ersten Mal ein exotisches gestreiftes Pferd vom Kap der Guten Hoffnung nach England gelangte, sofort zur Stelle war (Abb. 27). Obwohl es in einer englischen Waldlandschaft leicht deplatziert wirkt, ist Stubbs’ Porträt für diese Zeit eine der getreuesten und genauesten Darstellungen eines Zebras.
    (27)  Zebra . George Stubbs, 1762–1763.
    Für eine derart akkurate Darstellung verwendete Stubbs wahrscheinlich eine Reihe ganz verschiedener Pinsel. Vielleicht begann er mit relativ breiten Pinseln, um die Gesamtanlage des Bildes zu definieren, und griff dann zu immer feineren Pinseln, wenn er zu den Details kam. Indem er die Pinselstärken so variierte, konnte er verschiedene Größenordnungen der Organisation erfassen, von der Rohkomposition bis hin zum feinen Detail. Was hat nun dieser Vorgang der Pinselauswahl mit dem zu tun, was während der

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