Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
Vom Netzwerk:
dazu führen, dass Zellenabsterben; bei unserer Leinwand würde das heißen, dass Teile schrumpfen oder herausgeschnitten werden. Wachstum und Sterben sind stark miteinander verbunden und können einander auf verschiedene Weise ausspielen. Nehmen wir das Astbildungsmuster von Bäumen. Wenn ein junger Baum wächst, produziert er neue Äste, die wiederum weitere Äste produzieren, und die noch weitere Äste. Dieses System generiert nach den Regeln des exponentiellen Wachstums eine immer weiter ansteigende Zahl von Ästen und Zweigen. Irgendwann führt das zu Kollisionen von Ästen oder zu vielen nutzlosen Zweigen im Kroneninneren, die sehr wenig Licht erhalten, aber trotzdem Ressourcen verbrauchen. Eine Lösung dieses Problems besteht darin, dass bestimmte Zweige oder Äste absterben und vom Baum abfallen. Wirft der Baum die Zweige ab, die mit ihren Blättern am wenigsten wirksam Lichtenergie einfangen, so lichtet er sich selbst aus und produziert eine effizientere Krone. Abbildung 32 zeigt einen Baum, den ein Computerprogramm nach diesen Prinzipien generiert hat. 40 Dieses Programm impliziert Verstärkung, weil die Äste grundsätzlich zum Wachstum neigen. Als Gegengewicht zu diesem Wachstum wirkt aber der Wettbewerb um das begrenzte Licht und den begrenzten Raum, der bis zum Tod führt. Das Ergebnis ist eine Baumform, die an sich selbst und an die Umgebung angepasst ist, weil sie interne Kollisionen zwischen Ästen meidet und zugleich nur die gut dem Licht ausgesetzten Zweige behält.
    (32) Von einem Computerprogramm mittels Verstärkung durch Astbildung und Wettbewerb um Licht generierter Baum.
    Bei Tieren wird eine vergleichbare Wirkung durch Zelltod erreicht. Ein gutes Beispiel dafür ist das Entstehen des Nervensystems. Hier liegt das Problem nicht im Auffangen von Licht, sondern darin, dass die Nervenzellen zu den Zielzellen, die sie mit Nerven versorgen, passen müssen. Während seiner Herausbildung vermehrt sich unser Nervensystem sehr stark und produziert mehr Neurone, als der Erwachsene benötigt. Je nach Hirnregion degenerieren am Ende 20 bis 80 Prozent der produzierten Nervenzellen. Ob ein Neuron überlebt oder nicht, hängt davon ab, ob es bestimmte Signalmoleküle, die so genannten Neurotrophine, empfängt. Neurotrophine sind gleichsam Überlebensfaktoren, die die Neurone am Leben halten. 41 Ohne ausreichenden Vorrat davon neigen Neurone zum programmierten Zelltod (über den Prozess der Apoptose). Neurotrophine werden von Zielnervenzellen ausgeschüttet. Wenn also eine Nervenzelle es schafft, einen effizienten Kontakt zu einer Zielzelle herzustellen,erhält sie genug Neurotrophin und kann damit überleben; wenn sie keinen ausreichenden Kontakt herstellt, stirbt sie wahrscheinlich ab. Nervenzellen konkurrieren um Neurotrophine wie die Zweige eines Baums um Licht. Am Ende führt dieser Wettbewerb dazu, dass die Neurone automatisch ausgelichtet werden und nur die übrig bleiben, die einen guten Kontakt zu ihren Zielzellen hergestellt haben.
    Außer durch Wachstum und Zelltod kann es bei der biologischen Entwicklung von Tieren noch auf andere Weise zu Deformationen kommen: über Zellwanderung und Neuanordnung (bei Pflanzen ist dieser Prozess weniger relevant, weil ihre Zellen über den Kontakt der Membranen zueinander feste Plätze einnehmen). Gut illustrieren lässt sich das an dem Schleimpilz Dictyostelium . In einem bestimmten Stadium seines Lebenszyklus bildet dieser Organismus einen Verband aus Zellen, die übereinander hinweggleiten können (Abb. 33, links). Der Verband ist in verschiedene Regionen unterteilt (siehe die verschiedenen Grautöne), und die Zellen dieser Regionen exprimieren jeweils unterschiedliche Regulatorproteine. Diese wiederum wirkensich darauf aus, wie Zellen Signale versenden, sich bewegen und aneinander haften. Die Zellen wandern und rutschen umher, verbinden sich zu Gruppen und verstärken ihre Bewegungen, und gleichzeitig konkurrieren sie um Raum; so entsteht in wenigen Stunden ein Stiel mit einer Kugel an der Spitze (Abb. 33, rechts). Wieder sind Verstärkung und Wettbewerb am Werk, diesmal aber in Form von Zelladhäsion und -bewegung.
    (33) Computersimulierte Formwandlung bei Dictyostelium unter Einwirkung von Zellwanderung und Signalaustausch.
DIE DREIDIMENSIONALE LEINWAND
    Eine mehrfarbige Leinwand, die wächst und sich deformiert, vermittelt uns eine Grundvorstellung davon, was während der biologischen Entwicklung vor sich geht. Allerdings ist eine Leinwand

Weitere Kostenlose Bücher