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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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macht das Gehirn des Hundes Prognosen auf Grund seiner Vergangenheit, lernt also aus früheren Erfahrungen, um die Zukunft vorherzusagen. Auf welchen Mechanismen könnte dieses Lernen beruhen? Während Pawlow in Russland seine Untersuchungen durchführte, untersuchten andere Forscher, etwa Santiago Ramón y Cajal in Spanien und Charles Sherrington in England, die genaue Funktionsweise der Neurone. 63 Sie wiesen nach, dass ein Schlüsselmerkmal der Neurone darin besteht, dass sie einander über Synapsen reizen. Wie aber hängt diese Forschung über Neurone mit Pawlows Forschungsergebnissen zusammen? Erste Versuche, diese Frage zu beantworten, unternahmen in den späten 1940er Jahren zwei Forscher: der polnische Neurophysiologe Jerzy Konorski und der kanadische Psychologe Donald Hebb. In seinem Buch Conditioned Reflexes and Neuron Organisation (1948) interpretierte Konorski Pawlows Ergebnisse neu und wies nach, dass sich Konditionierung als Folge spezifischer Veränderungen in der Bildung und der Anzahl synaptischer Verbindungen zwischen Neuronen erklären lässt. 64 Unabhängig davon gelangte Donald Hebb in seinem Buch The Orga n ization of Behaviour (1949) zu einem ähnlichen Ergebnis. 65 Doch trotz dieser Pionierarbeiten blieb unklar, wie es zu den synaptischen Veränderungen kam und wie sie bessere Vorhersagen möglich machten. Erst 40 Jahre später machte die Konditionierung wieder Fortschritte, als die Neurone entdeckt wurden, die das prädiktive Lernen vollziehen.
PRÄDIKTIVE NEURONE
    Mitte der 1980er Jahre nahmen Ranulfo Romo und Wolfram Schultz an der Universität von Fribourg (Schweiz) elektronische Messungen an bestimmten Neuronen im Gehirn von Affen vor, während diese Aufgaben erlernten. 66 Diese Neurone befinden sich im so genannten Mittelhirn und produzieren an ihren Enden einen Neurotransmitter namens Dopamin. Wir erinnern uns: Neurotransmitter sind Substanzen, die an den Axon-Enden ausgeschüttet werden und durch den synaptischen Spalt diffundieren, um auf der anderen Seite die neuronalen Aktivitäten zu beeinflussen.
    Die Feuerungsrate der Dopamin-ausschüttenden Neurone, die Romo und Schultz untersuchten, schien in Bezug dazu zu stehen, ob der Affe belohnt wurde. Am Käfig des Affen war eine Box angebracht, die gelegentlich eine Belohnung enthielt, etwa ein Stück Apfel. Der Affe konnte nicht in die Box hineinsehen, wusste anfangs also nicht, ob sie Futter enthielt. Griff der Affe aber in die Box, so ertastete er manchmal ein Stück Apfel und holte es heraus. Romo und Schultz stellten fest, dass die Neurone, deren Aktivität sie maßen, sehr viel stärker feuerten, wenn der Affe hineingriff und mit einem Stück Apfel belohnt wurde (Abb. 53, oben). Zunächst vermuteten sie, die neuronale Aktivität könnte mit der Armbewegung des Affen zu tun haben. Schließlich aber wiesen sie nach, dass die Neurone nicht stärker feuerten, wenn der Affe in der Kiste keine Belohnung vorfand. Die Feuerungsrate der Dopamin-ausschüttenden Neurone war also mit dem Ertasten des Apfels verknüpft und nicht mit der Armbewegung.
    (53) Feuerungsrate von Dopamin-ausschüttenden Neuronen vor und nach der Konditionierung.
    In einer veränderten Versuchsanordnung wurde nun der Affe mit dem Geräusch einer sich öffnenden Tür konditioniert. Die Box enthielt jetzt immer ein Stück Apfel, aber eine kleine Tür versperrte sie dem Affen. Der lernte schnell, dass er, wenn er das Geräusch deraufgehenden Tür hörte, in die Box greifen und sich ein Stück Apfel holen konnte. Nun machten Romo und Schultz eine bemerkenswerte Beobachtung. Sie fanden heraus, dass die Neurone, die vorher durch das Ertasten des Apfels zum Feuern angeregt wurden, jetzt bereits durch das Geräusch der sich öffnenden Tür dazu angeregt wurden (Abb. 53, unten). Die Neurone hatten ihre Reaktion zeitlichvorverlegt und wurden nun durch das prädiktive Signal aktiviert, das Geräusch der Tür, und nicht mehr durch den Apfel selbst.
    Um nachzuvollziehen, was hier abläuft, ist es hilfreich, das Experiment mit dem Affen mithilfe dreier Begriffe umzuformulieren: Belohnung , Erwartung und Diskrepanz . Zu Beginn erwartet der Affe keine Belohnung (ein Stück Apfel), wenn er die Tür aufgehen hört. Wenn er zufällig bei offener Tür hineingreifen kann und ein Stück Apfel vorfindet, besteht demnach eine Diskrepanz zwischen der Erwartung des Affen (geschlossene Tür, keine Belohnung) und dem tatsächlichen Geschehen (offene Tür und Belohnung). Der Effekt des Lernens

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