Die Fotografin
möglich, oder?“ Marion verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich herausfordernd an. „Warum sollte dich die Hausverwaltung anlügen?“
„Was weiß ich?“, stottere ich. „Keine Ahnung, vielleicht hat ihnen meine Stimme am Telefon nicht gefallen und sie wollten sich einen Spaß erlauben.“
Ich gebe zu, das klingt wie eine lahme Ausrede, aber Marion geht zum Glück nicht darauf ein. Sie kneift die Augen zusammen und überlegt.
„Seine Handynummer stimmt auch nicht, sagst du?“, fragt sie dann und ich sage, dass ich mir Talvins Nummer falsch eingespeichert habe.
„Hat er dich nie angerufen?“, wundert sich Marion und rutscht auf ihrem Stuhl hin und her, denn ihre Mittagspause geht dem Ende zu und sie möchte trotzdem wissen, was es mit diesen mysteriösen Vorkommnissen auf sich hat.
„Doch natürlich“, verteidige ich mich, rudere aber im selben Augenblick wieder zurück. „Nein, falsch. Ich habe ihn angerufen. Oder doch nicht? Ich weiß es nicht mehr“, gebe ich klein bei.
„Das erinnert mich alles an eine andere Geschichte, Adriana!“, sagt Marion schließlich langsam. Ich weiß schon, dass jetzt der ernste Teil des Gesprächs beginnt, denn sonst würde sie mich nicht beim Vornamen nennen. Vorsichtig redet Marion weiter, denn sie weiß, dass sie jetzt ein Minenfeld betritt. Aber ich warne sie nicht, dass hier Explosionsgefahr besteht.
„Ganz ehrlich, Adriana, kann es nicht sein, dass du dir das alles bloß einbildest?“
Wusste ich es doch! Jetzt werden wieder die alten Geschichten aufgewärmt. Der Segeltörn mit Björn. Das Desaster. Die schwedische Polizei. Gregor hat Marion davon erzählt, weil er so ratlos, so hilflos war. Und jetzt glaubt sie, dass ich schon wieder dabei bin, auszurasten. Aber ich war schon lange nicht mehr so ruhig wie jetzt.
„Was willst du damit andeuten? Dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin? Dass sich die Ereignisse wiederholen? Das ist es doch, was du sagen willst, stimmt’s?“ Gegen meinen Willen wird meine Stimme laut und schrill. In diesen Situationen kann ich mich selbst nicht ausstehen. Die dürre Kellnerin hat aufgehört, ihre SMS zu lesen und dreht ihr beneidenswert junges Modelgesicht auf ihrem Giraffenhals unserem Tisch zu. Ihre Blicke treffen sich mit denen von Marion, doch das kann auch Zufall sein.
„Wieso machst du das noch immer?“, fragt Marion spitz und deutet auf meine Kamera mit dem schweren Teleobjektiv, die neben mir versteckt unter meiner Lederjacke auf der Bank liegt. „Fotografierst du noch immer alles, um sicher zu sein, dass es existiert?“, wird sie langsam konkreter.
„Und wenn schon? Das ist doch nicht verboten!“
„Verboten ist es nicht, aber schon ein wenig seltsam, findest du nicht?“, lässt Marion nicht locker.
„Mein Psychiater hat mir dazu geraten. So kann ich mich jederzeit davon überzeugen, dass die Welt rings um mich existiert und keine Einbildung ist.“ Wie gesagt, vor Marion habe ich keine Geheimnisse, sie weiß natürlich auch, was vor fünf Jahren in Schweden passiert ist.
„Ja, aber irgendwann sollte das doch vorbei sein. Das Leben geht weiter“, versucht sie mich mit einem Werbespruch aufzumuntern. Plötzlich stockt sie, denkt intensiv nach.
„Moment mal, Adriana! Dann gibt es doch sicher auch genügend Fotos, auf denen dein Liebhaber Talvin zu sehen ist.“
„Die gibt es nicht!“, erwidere ich ziemlich kleinlaut. „Nein, diese Fotos gibt es nicht“, wiederhole ich jetzt schon etwas trotziger, denn das ist in der Tat merkwürdig und Marion hat recht wenn sie misstrauisch wird.
„Aber du hast doch gerade gesagt, dass du noch immer alles und jeden fotografiert, um dir sicher zu sein, dass es Realität ist.“ Marion verzieht skeptisch ihr Gesicht und auf ihren glatten Wangen bilden sich hässliche Falten. „Du hast deinen Liebhaber nicht fotografiert? Für mich hört sich das aber ziemlich merkwürdig an, verzeih mir bitte!“
„Talvin wollte das nicht. Er hat mir verboten, Bilder von ihm oder von uns beiden zu machen. Das bedeutet schlechtes Karma, hat er gesagt.“ Ich versuche, mich daran zu erinnern, warum Talvin wirklich keine Fotos von sich wollte. Aber das Thema war uns anscheinend nicht so wichtig, deshalb fällt mir auch kein wirklich stichhaltiger Grund dafür ein.
Ich schaue starr in Marions dunkle Augen, um so etwas wie Verrat darin zu erkennen. Doch ihr Blick hält problemlos dem meinen stand und ich bin es, die als Erste verlegen zu Boden sieht.
„Alles was ich
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