Die Fotografin
reagiert nicht auf diese Provokation, sondern schiebt den zerdrückten Becher wortlos mit ihrem schwarzen abgewetzten Schnürschuh unter die Bank. Ihre dünnen Haare wehen in der Zugluft und in der reizlosen Uniform ist sie ein Bild des Jammers.
„Entschuldigen Sie!“, rufe ich hinter Gregors Rücken hervor, der mir mit dem Ellbogen einen leichten Stoß gibt.
„Halt dich da raus, Adriana!“
Doch ehe er Isabelle Wagner weiter demütigen kann, stößt Dr. Atzbach wieder zu uns.
„So, alles erledigt, wir können dann los!“, sagt er und beugt sich dann zu Gregor. „Die Presse hat noch nichts von der ganzen Sache mitbekommen.“
„Na, das nenne ich Glück. Ich habe ja A. M. vorsorglich mitgenommen, falls ein Journalist aufgetaucht wäre.“
„Wer ist A. M.?“, frage ich scheinheilig, obwohl ich es bereits weiß. Sie ist die Pressesprecherin meines Mannes. Jung, hübsch und blond und wird von meinem Mann regelmäßig gebumst. So hat es Brandt, der Imageberater, treffend auf den Punkt gebracht hat.
„Alina Mayer, meine PR-Assistentin“, antwortet mein Mann ganz nebenbei ohne die geringste Verlegenheit, während er sein Smartphone überprüft. Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken, denn er wirkt völlig unschuldig. Für den Moment lasse ich die Sache auf sich beruhen, will nur noch nach Hause, in den schützenden Hafen der Familie.
An der Sicherheitsschleuse müssen wir einen Augenblick warten, bis uns der zuständige Beamte die Tür öffnet und während wir dort stehen, sehe ich Isabelle Wagner mit einem dicklichen Mann reden. Ob das der Inspektor ist, der ihr noch einen Gefallen schuldet? Spricht sie mit ihm bereits über das mysteriöse Verschwinden von Talvin Singh? Ich weiß es nicht. Als ich ihr zum Abschied zuwinke, wendet sie schnell den Kopf zur Seite und spricht weiter, als würde sie mich nicht mehr kennen. In der Hand hält sie den zerknüllten Becher, den Gregor ihr vor die Füße geworfen hat. Sie wird ihn tatsächlich in den Papierkorb entsorgen. Arme Isabelle Wagner, ich hätte das an ihrer Stelle nicht getan.
„Ach ja, da ist noch etwas!“ Wir stehen auf dem Parkplatz und Dr. Atzbach geht auf seinen Mercedes zu, neben dem eine junge und sehr attraktive Blondine steht, die hastig die Zigarette mit ihrem Pumps austritt, als sie uns bemerkt. Das ist also A. M., mit der mein Mann ins Bett geht.
„Adriana, hörst du mir überhaupt zu?“
„Entschuldige bitte Gregor, aber die letzten Stunden waren ziemlich anstrengend für mich!“
„Natürlich, natürlich! Wie konnte ich das nur vergessen. Trotzdem, es ist wichtig!“ Gregor ist ganz treusorgender Ehemann, lässt aber nicht locker.
„Was ich dir noch sagen will, Adriana …“ Er macht eine verlegene Pause, was so gar nicht zu ihm passt.
„Ja?“ Plötzlich bin ich wachsam, Angst, Müdigkeit und die Leere in meinem Kopf sind wie weggeblasen. Es bahnt sich etwas Entscheidendes an.
„Marion hat mir Fotos geschickt!“ Gregor räuspert sich, das Thema ist ihm sichtlich unangenehm. Warum wartet er damit nicht, bis wir zuhause sind? Warum müssen diese unangenehmen Dinge immer auf nächtlichen Parkplätzen geklärt werden?
„Was für Fotos? Wovon sprichst du überhaupt?“
„Stell dich doch nicht so begriffsstutzig an, Adriana. Marion war doch für dich in dieser Wohnung, wo angeblich der Inder gelebt hat.“
„Ja und?“ Ich bin nicht weiter überrascht, dass Marion Gregor immer tiefer in die Sache hineinzieht, die zu Beginn allenfalls nur eine Angelegenheit zwischen ihr und mir gewesen ist.
„Sie hat dort auch Fotos gemacht und die hat sie mir gemailt. Da kannst du dich dann selbst davon überzeugen, dass die Wohnung unbewohnt ist.“
„Mir hat sie davon aber nichts gesagt!“ Ich versuche, mich an das letzte Gespräch mit Marion zu erinnern. Es war das Telefonat vor dem Fotoshooting. Da war keine Rede von Fotos, die sie gemacht hat.
„Na und wenn schon, wird sie eben vergessen haben.“ Gregor schiebt mich zu seinem Wagen und winkt A. M. zu, die sich nicht einmal bei mir vorgestellt hat. Sie steigt in einen roten Mini Cooper, das Auto, das ich so gerne gehabt hätte. „Bis morgen!“, ruft ihr Gregor noch betont kumpelhaft zu. Er war schon immer ein schlechter Lügner.
Plötzlich wird mir alles zu viel. Die letzten Stunden brachten mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Mein bester Freund hat Selbstmord begangen und welches Spiel treibt meine beste Freundin? Alles was ich will, ist Ruhe. Ich
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