Die Fotografin
Umklammerung, die mir die Luft zum Atmen raubt, die mich fast erdrosselt.
„Wir sind hier im Zimmer meines toten Sohnes und du willst hier ein Kind machen?“ Wie das Feedback in einem billigen Club heult meine Stimme von den leeren weißen Wänden zurück. Überrascht zuckt Gregor zusammen, lässt seine Hände sinken, schüttelt den Kopf und ringt nach den richtigen Worten, die es aber nie geben wird.
„Du willst hier Sex, wo alles an meinen toten Sohn erinnert? Bist du wahnsinnig?“, schreie ich.
„Aber das Zimmer ist doch vollkommen leer“, murmelt Gregor betroffen.
„Ja, spürst du nicht die Gegenwart unseres Sohnes? Bist du schon so abgestumpft, dass du überhaupt nichts mehr empfindest?“
„Wir haben doch gemeinsam mit Hans Abschied genommen“, sagt er zögerlich und runzelt dabei die Stirn. „Diese Therapie sollte uns doch helfen, loszulassen, um wieder neu beginnen zu können.“
„Aber ich kann nicht neu beginnen! Verstehst du das denn nicht? Warum musste mein Sohn sterben? Warum hast du damals telefoniert? Warum habe ich Angst vor dem Wasser?“
„Ja, wenn du keine Angst vor dem Meer gehabt hättest, dann könnte unser Sohn noch am Leben sein!“
„Ach, bin jetzt ich alleine schuld“, brülle ich außer mir vor Wut über diese Unterstellung.
„Ich meine ja nur …“ Gregor stehen die Schweißperlen auf der Stirn und mit dem Bauchansatz über seinen Boxershorts sieht er plötzlich nicht mehr begehrenswert aus. „Wir sind doch eine Familie und sollen uns nicht selbst zerfleischen!“, stottert er nervös und sucht nach überzeugenden Argumenten.
„Du wiederholst dich.“
Damit will ich dieses Gespräch beenden und alleine mit meinem Schmerz bleiben, alleine in dem weißen Zimmer, das mit den Tieren des Dschungels bevölkert ist und in dem mein Sohn Paul eine Tierklinik gegründet hat. Ich will sehen, wie er die wilden Tiere wieder gesund pflegt und ich will ihm helfen, wenn es darum geht, die schwachen und alten Tiere zu füttern. Gemeinsam mit meinem Sohn will ich ihnen ein Zuhause bieten, eine Familie.
Das Klappern von Gregors Taucheruhr reißt mich wieder zurück in die Wirklichkeit des weißen Zimmers. Gregor scheint die Uhr schon seit Tagen überhaupt nicht mehr abzunehmen und das ist kein gutes Zeichen.
„Wieso trägst du wieder diese Uhr?“, frage ich dann auch und deute mit dem Finger darauf. „Du wolltest sie doch einmal verkaufen.“
„Ich muss zu einer Sitzung des Parteivorstandes. Es geht um die neue PR-Kampagne für die Wahl“, seufzt er, ohne auf meine Frage zu reagieren. Dann dreht er sich um und geht aus dem Zimmer. Von hinten wirkt er jetzt wieder groß, breit und mächtig. Er ist ein stattlicher Mann. In der Tür sieht er sich noch einmal um, streicht sich seine dunklen Haare aus der Stirn.
„Übrigens, ich habe noch gestern, gleich nach dem Telefonat mit Marion, einen Termin mit Hans, ich meine Dr. Mertens vereinbart.“
Mein Herz beginnt zu pochen, denn etwas in Gregors Stimme macht mir Angst und argwöhnisch beobachte ich ihn.
„Hans und ich, wir beide halten es für besser, wenn du eine Intensiv-Therapie machst. Hans wird auch deinen Kopf untersuchen, vielleicht hast du dir ja tatsächlich eine innere Verletzung zugezogen, als du dich an der Heckklappe gestoßen hast.“
„Du hast was?“, kreische ich und kann meine Stimme nicht mehr unter Kontrolle halten. „Du bestimmst so einfach über mein Leben. Schickst mich zu einem Psychiater und lässt ihn in meinen Kopf schauen, ohne das mit mir zu besprechen. Das kannst du gleich vergessen.“
Darauf läuft es also hinaus: Mein eigener Mann will mich in die Klinik abschieben, will mich einfach mithilfe seines Psychiaterfreundes ruhigstellen, damit ich seine Karriere so kurz vor der Wahl nur ja nicht gefährde, denn ich bin ein Risikofaktor auf seinem Weg nach oben.
„Vergiss es!“, zische ich und vor Wut schießen mir die Tränen in die Augen. Wie ein trotziges Kind kauere ich barfuß in meinem verschwitzten Nachthemd in der Ecke des weißen Zimmers und starre die Wand an.
„Es geschieht doch nur zu deinem Besten, Adriana!“ Gregors Stimme prügelt samtweich auf meinen Rücken ein und verletzt mich mit jedem Wort.
„Hans sagt, viele Frauen in deinem Alter leiden darunter, plötzlich nicht mehr attraktiv und begehrenswert zu sein. Deshalb steigern sie sich auch in absurde SexFantasien hinein. Hans hat mehrere Patientinnen mit derartigen Symptomen. Natürlich in viel geringerem Ausmaß, als
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