Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
»wir«, der das tun würde? Diejenigen, die sich durch das Blut vereint fühlen? Aber welches Blut? Das vergossene? Und wessen Blut?
Damals in Algerien, hatte Salagnon zu mir gesagt, haben wir uns bemüht, eine schändliche Grenze aufrechtzuerhalten. Wir haben uns darauf versteift und alle darin verstrickt, damit es alle betraf. Damals hat man uns freie Hand gelassen, wir hatten uneingeschränkte Vollmacht, und wir haben alle kompromittiert; wir haben dafür gesorgt, dass jeder dem Opfer ein Stück Fleisch ausreißt. Wir. Seit einiger Zeit rede ich wie Salagnon. Ich übernehme die grammatische Form von Salagnons Erzählung. Aber wie sollte es auch anders sein? Wir haben alle in die Sache hineingezogen. Wir. Ich kann nicht sagen, wer »wir« anfangs war, aber anschließend waren es alle. Alle stecken bis zu den Ellbogen im Blut, alle tauchen den Kopf in die Badewanne voller Blut, bis ihr Durst gestillt ist, bis sie keine Luft mehr bekommen, bis zum Erbrechen. Wir haben uns gegenseitig den Kopf in die Badewanne voller Blut getaucht. Und wenn ein Pfiff ertönte, haben wir es wie die Schuljungen gemacht, die bei einem Verstoß ertappt werden und sind mit auf dem Rücken verschränkten Händen pfeifend auf und ab gegangen und haben woandershin geblickt; wir taten so, als sei nichts geschehen; als hätten die anderen angefangen. Jeder tat so, als gehe er nach Hause, denn wir wussten nicht mehr so recht, wer wir waren, und wir wissen jetzt nicht mehr so recht, wo unser Zuhause ist. Wir sind dicht gedrängt innerhalb der engen Grenzen Frankreichs, sagen nichts und versuchen nicht zu sehen, wer außer uns noch da ist; und wer nicht mehr da ist. Frankreich hat den Lauf der Geschichte verlassen, wir haben beschlossen, uns um nichts mehr zu kümmern.
Als die SIFF auftauchte und allmählich die Aufmerksamkeit auf sich zog, hielten wir sanftmütigen Trottel der Mittelschicht sie für eine faschistische Splittergruppe. Und so konnten wir die Gründungsmythen noch einmal durchspielen, konnten »in den Widerstand gehen«, wie der große Epenschreiber es seitenlang berichtet hat. Wir haben demonstriert. Wir hielten sie für den Feind, dabei führten sie nur eine Kunstfurz-Nummer auf, um die Aufmerksamkeit abzuwenden. Sie spielten mit dem Begriff Rasse, doch die Rasse ist nur ein Furz, ein Darmwind, ein mit schlechter Verdauung verbundenes ungezogenes Benehmen, ein leeres Gerede, das etwas verheimlicht, was wir nicht sehen wollen, weil es so grässlich ist, denn es geht uns alle an, uns sanftmütige Trottel der Mittelschicht. Wir wollten in der SIFF eine rassistische Splittergruppe sehen, dabei sind sie viel schlimmer: Eine für illegale Ziele kämpfende Partei, eine Partei für Menschen, die unter ihresgleichen bleiben wollen, sich für Gewaltanwendung aussprechen und deren konkretisierte Utopie die Kolonien waren. Das reale Leben in der Kolonie, bestehend aus falscher Gutmütigkeit und richtigen Ohrfeigen, aus Vereinbarungen unter Männern und illegalen, allumfassenden Maßnahmen, ist das wahre Programm der SIFF , einer Geisterpartei, die ’62 mit den Schiffen zurückgekommen ist.
»Aber wer sind wir denn?«, ist eine Frage, die man nicht stellt. Die Identität ist etwas, an das man glaubt, das entsteht oder das man bedauern kann, aber sie lässt sich nicht ausdrücken. Sobald man den Mund öffnet, um sie zu »sagen«, kommt nur dummes Zeug heraus; es gibt nicht ein einziges vernünftiges Wort, das sich darauf bezieht; und wenn man darauf beharrt, nimmt es Formen des Wahns an. Die Rassentrennung, die völlig illegal ist, lässt sich auf kein rationales Kriterium zurückführen, dennoch wird sie von allen praktiziert. Das Tragische daran ist, dass man sie spürt, sie aber nicht ausdrücken kann. Ein Furz bedeutet nichts. Er ist nur eine Erfindung, um die Identität auszudrücken, und er lügt. Man denkt daran, und man denkt vergeblich, denn die Identität zielt von sich aus auf Blödsinn ab; sie ist immer blöd, denn sie will aus sich selbst heraus existieren; sie will von sich aus existieren, die Blöde. Das führt zu nichts.
Wenn man auf das Gerede hört, könnte man glauben, die in Frankreich vorherrschende Identität sei die der Bewohner der Provinz Berry; eine Identität von fettem Boden und feuchten Wäldern, eine Identität von Herbst und Regen, von verblichenen Knospen und Filzhüten, von Misthaufen hinter dem Hof und schieferbedeckten Glockentürmen, die den Himmel zu durchbohren drohen. Man könnte glauben, dass das
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