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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Mittelmeer in die hiesige Identität keinerlei Einlass gefunden hat. Ist es nicht unglaublich falsch und dumm, sich auf das Reich von Bourges zu begrenzen? Schließlich ist das Mittelmeer doch da! Das Mittelmeer in all seinen Formen, das Mittelmeer aus der Ferne gesehen, das Mittelmeer direkt vor unseren Füßen, das Mittelmeer aus dem Norden gesehen, das Mittelmeer aus dem Süden gesehen, und dann das Mittelmeer von der Seite gesehen, von überall gesehen, und auf Französisch gesagt. Unser Meer. Dem Gerede zufolge wären wir auf das Reich von Bourges begrenzt, aber ich höre Stimmen, die Französisch sprechen, mit unterschiedlichen Phrasierungen, mit seltsamem Akzent, aber trotzdem bleibt es ein Französisch, das ich spontan verstehe. Die Identität ist nur in der Einbildung vorhanden. Die Identität ist nur die Wahl einer Identifizierung, die jeder vornimmt. Zu glauben, sie sei im Fleisch oder im Boden verankert, bedeutet sich jenem Wahn hinzugeben, der uns einzureden versucht, es könne außerhalb unseres Ichs etwas geben, das die Seele erregt.
    Wir spüren die Unruhen. Wir wissen nicht genau, wer sie hervorruft, aber irgendjemand muss es ja sein. Wir sind dicht gedrängt im engen Frankreich, ohne genau zu wissen, wer dort ist, ohne hinzusehen, ohne etwas zu sagen. Wir haben uns dem Lauf der Geschichte entzogen, den weisen Lehren des großen Epenschreibers folgend. Es dürfte nichts geschehen; aber trotzdem. Wir suchen danach, wer unter uns, die wir im engen Frankreich eingeschlossen sind, diese Unruhen hervorruft. Es ist ein Rätsel des verschlossenen Raums, der Schuldige muss da sein. Wir verdächtigen die Rasse, ohne zu wagen, es zu sagen. Wir gehen so weit, konfessionelle Unterschiede für natürliche Unterschiede zu halten. Die Rasse ist ein Furz, die Luft im engen Frankreich wird unerträglich; die Unruhen dauern weiter an. Der Ursprung der Gewalt ist sehr viel einfacher, sehr viel französischer, aber diese Wahrheit möchte man nicht enthüllen. Man zieht es vor, den Nummern der Kunstfurzer zuzuhören, während sich im Saal Gegner und Anhänger des Furzens in die Wolle kriegen. Es herrscht in diesem Land eine große Vorliebe für einen Streit unter Geschichtenschreibern, er endet immer im Krawall.
    Der Ursprung der Unruhen, hier wie dort, heute wie damals, ist nur die fehlende Achtung sowie der Wille, die ungleiche Verteilung der Reichtümer nicht sichtbar werden zu lassen. Das ist ein typisch französischer Grund, und der Krieg, der in Algerien geführt wurde, war ein durch und durch französischer Krieg. Sie glichen uns zu sehr, um weiterhin an der Stelle zu leben, die wir ihnen zugewiesen hatten. Der kommende Aufruhr wird wieder im Namen der Werte der Republik geführt werden, auch wenn die Werte ein bisschen verwässert und von der Berücksichtigung der Abstammung sowie der illegalen Ungleichheit angefressen sind, dennoch werden diese Werte weiterhin von jenen hochgehalten, deren größter Wunsch es ist, hier zu leben. Hier wie dort wütet der Krieg zwischen uns und jenen von uns, die uns so sehr gleichen, und wir suchen verzweifelt nach etwas, was uns trennen könnte. Das Einordnen von Gesichtern ist eine militärische Operation, die Verschleierung von Körpern ist eine kriegerische Handlung, eine ausdrückliche Weigerung jeglicher Form des Friedens, die noch nicht die Eliminierung des anderen bedeutet. Das Schlachtfeld der Bürgerkriege ist die äußere Erscheinung der Körper, und die ganze Kriegskunst besteht in deren Misshandlung.
    Ich entdeckte Mariani auf einem Foto auf der ersten Seite von Le Progrès , aber vielleicht war ich der Einzige, denn es war kein Porträt von ihm. Le Progrès ist eine Lyoner Zeitung, die auf Plakaten, klein gedruckt in den Marginalien und in großen Lettern auf Busreklamen verkündet: »Wahr ist es erst, wenn es in Le Progrès steht.« Mariani war auf der ersten Seite der Zeitung in der Ecke eines großen Fotos zu sehen, auf dem die Polizeibeamten von Voracieux-les-Bredins abgebildet waren. Die athletisch gebauten Männer hatten sich stolz in Pose gestellt, in ihrer militärisch anmutenden Uniform mit waffenstarrendem Gürtel und einer an den Knöcheln von geschnürten Fallschirmspringerstiefeln verengten Hose. Sie hatten die Fäuste in die Hüften gestemmt, um ihre Stärke zu demonstrieren. In dem Artikel wurden große Auszüge aus den Reden zitiert, die in überschwänglichen Worten die wiedergefundene Macht lobten. »Gegen Kriminalität und respektloses Verhalten

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