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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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umgeben von den großen schwarz gesprenkelten Flächen, die seinem Schweigen entsprechen. Das rührt ihn so sehr, dass er ins Stolpern gerät. Die edlen Gedanken eines ganzen Tages waren dort exakt und unversehrt festgehalten, viel besser erhalten als es die Kalligrafie zu tun vermag. Und dann zerreißt er alle Gedichte, die er geschrieben hatte, und wirft die Papierschnipsel in den Wildbach. Warum sollte er noch schreiben, da doch der geringste Gedanke einfach zu sehen war, allen sichtbar in seiner Exaktheit, ohne dass es nötig war zu lesen? Und gegen Abend würde er besänftigt heimkehren, während sein Diener noch leicht beunruhigt hinter ihm her trottet und alles trägt, was getragen werden muss.
    Die Tuschemalerei neigt dazu, die vorletzte Spur des Atems zu sein, die leichte Erschütterung der Luft im Moment des Flüsterns, kurz bevor es verebbt. Ich will die Bewegung der Worte festhalten, ehe sie verstummen, die Spur des Hauchs in dem Moment bewahren, da er sich verflüchtigt. Die Tusche gefällt mir.
    Ich spürte, wie du bebend an mich geschmiegt lagst, mein Herz; ich wünschte mir über alles, dich zu malen; ich wünschte mir über alles, mich dir zu nähern und das beständige Klopfen der Anwesenheit in dir zu vernehmen und in mir widerhallen zu hören.
    Du hast mich morgens alleingelassen, mein Herz, hast mich geküsst und mir zugeflüstert, dass du bald, sehr bald wiederkommen würdest, und so blieb ich bei dir zu Hause und wartete auf dich. Allein bei dir, ging ich von einem Raum in den anderen, ohne mich anzuziehen, deine Wohnung war nicht groß, ein Zimmer, in dem wir geschlafen hatten, und ein Raum, dessen offenes Fenster auf die Saône hinausging; ich ging von einem ins andere, ließ mich von dir erfüllen, ohne dass du da warst, und wartete auf dich mit der unendlichen Geduld dessen, der weiß, dass du kommen wirst. Ich verbrachte viel Zeit am Fenster, ich betrachtete die Brücke, die den Fluss in drei Bögen überspannte. Wenn das spiegelglatte Wasser der Saône auf die Steinpfeiler traf, kräuselte sich die Oberfläche träge, so wie sich die Laken in einem Bett leicht kräuseln, wenn jemand darin schläft. Ich betrachtete die Möwen, die auf dem Fluss trieben, sie versuchten auf dem Wasser zu schlafen und mussten einen ziemlichen Zirkus vollziehen, um dabei nicht in der Ferne zu verschwinden, was beweist, dass es unmöglich ist, sich auszuruhen, wenn die Zeit verrinnt. Sie lassen sich auf dem Wasser nieder, legen die Flügel an, die Strömung treibt sie fort. Wenn sie mehrere hundert Meter auf der so langsam fließenden Saône fortgetrieben sind – sie drehen sich dabei im Kreis wie Plastikenten –, schütteln sie sich, erheben sich in die Luft, fliegen die Strecke flussaufwärts zurück, die sie hinabgetrieben waren, und lassen sich nieder, um sich wieder vom Wasser tragen zu lassen. Vielleicht können sie zwischen zwei Flügen schlafen, um die Zeit einzuholen. Sie treiben nie zweimal auf demselben Wasser, schlafen aber immer am selben Ort. Ich stützte mich mit den Ellbogen auf das Fensterbrett, genoss die Morgensonne, sah den Möwen auf dem Fluss und den Leuten auf der Straße zu. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich an dir habe. Die wiederhergestellte Zeit; der Strom, der von neuem fließt.
    Ich sah eine schwarz verschleierte Frau, die unser Wohnhaus betrat; ich konnte nichts von ihr erkennen, bis auf einen sich bewegenden Schatten. Ein paar Minuten später kam sie wieder aus dem Haus und verschwand hinter einer Straßenecke. Sie kehrte mit einer vollen Einkaufstasche zurück, die ich sie nicht leer hatte mitnehmen sehen. Sie kam sofort wieder aus dem Haus; aber ohne die Einkaufstasche. Sie trug eine Handtasche. Ich betrachtete unwillkürlich ihre Schuhe. Sie verschwand hinter derselben Straßenecke, tauchte fast unmittelbar danach wieder auf, aber ohne die Handtasche; sie betrat unser Haus. Ich beugte mich weiter vor, um sie ins Haus gehen zu sehen.
    »Was für ein Hin und Her, hm?«
    Rechts von mir hatte sich ein mit einem Unterhemd bekleideter Mann in vorgeschrittenem Alter auf die schmiedeeiserne Balustrade seines offenen Fensters gelehnt und sonnte sich. Er sah wie ich den Möwen auf der Saône und den Leuten auf der Straße zu.
    »Allerdings. Sie kommt keine Minute zur Ruhe.«
    » Sie kommen keine Minute zur Ruhe. Im Plural, junger Mann, im Plural. Es sind mehrere. Diese vermummte Frau, die sich seit geraumer Zeit zu schaffen macht, ist nicht eine Frau, sondern sie sind in

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