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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Wirklichkeit mehrere. Sie leben in der großen Wohnung im ersten Stock.«
    »Alle zusammen?«
    Er blickte mich mitleidig an und beugte sich über die eiserne Balustrade, von der die Farbe abblätterte, um halblaut mit mir zu sprechen.
    »Der bärtige Typ aus dem ersten Stock lebt mit ihnen allen zusammen. Er ist polygam.«
    »Ganz offiziell? Man kann doch nicht einfach mehrfach heiraten …«
    »Verheiratet oder nicht, das läuft doch auf dasselbe hinaus. Er lebt mit allen, man weiß nicht mal, wie viele es sind. Er ist polygam.«
    »Vielleicht sind es seine Schwestern, seine Mutter oder seine Cousinen …«
    »Sie sind derart naiv, das grenzt schon an Dummheit! Oder an Faszination. Das sind seine Frauen, sage ich Ihnen, die hat er auf ihre Art geheiratet, wie es ihnen gerade passt, sie halten sich nicht an die Regeln. Jede behauptet, die einzige Frau zu sein, sie beziehen finanzielle Unterstützung, auf die sie kein Anrecht haben. Wir haben schon Eingaben gemacht, Briefe an die zuständigen Behörden geschickt, damit sie ausgewiesen werden.«
    »Ausgewiesen?«
    »Aus dem Haus; und aus Frankreich, wenn sie schon einmal dabei sind. Diese Sitten sind unerträglich.«
    Der Polygamist tauchte auf der Straße auf, er war tatsächlich bärtig, lächelte, trug ein gehäkeltes Käppchen und einen weißen Kaftan; einen Schritt hinter ihm lief ein wallender Schatten.
    »Da ist er«, sagte der Nachbar mit erstickter Stimme.
    Ehe der Mann das Haus betrat, blickte er nach oben und sah uns. Er lächelte uns mit seltsamer Miene zu; spöttisch. Er öffnete dem Schatten mit den verschwommenen Umrissen, der ihn begleitete, die Tür, ließ ihm den Vortritt, blickte uns noch einmal mit demselben ironischen Lächeln an und betrat das Haus. Der Nachbar, der sich ein paar Meter neben mir wie ich vor das offene Fenster gelehnt hatte, erstickte fast und stammelte »sie alle rausschmeißen« und machte dabei gurgelnde Geräusche, er sabberte vor Wut.
    »Haben Sie gesehen, wie er sich über uns lustig macht? Wenn die SIFF an der Macht ist, wird ihnen das Lachen vergehen. Dann ist Schluss mit dem hämischen Lächeln. Dann werden sie alle zurückgeschickt.«
    »Glauben Sie denn, dass die SIFF an die Macht kommt?«
    »Ja. Und hoffentlich möglichst bald. Bei der SIFF sind ein paar Typen, die eine klare Vorstellung haben und die den Mumm haben, sie deutlich auszudrücken.«
    »Wie Mariani? Finden Sie, dass Mariani eine klare Vorstellung hat?«
    »Sie kennen Mariani?«
    »Ja, ein bisschen. Aber was seine Vorstellung angeht und die Art, wie er sich ausdrückt, habe ich eher das Gefühl, dass es sich dabei um großen Unsinn handelt.«
    »Das ist mir scheißegal. Ich weiß nur, dass er mit der Faust auf den Tisch haut. Und das brauchen wir: Leute, die mit der Faust auf den Tisch hauen. Um zu zeigen, dass wir keinen Spaß verstehen.«
    »Da haben Sie allerdings recht, Spaß versteht er wirklich nicht. Das ist sogar ziemlich schade.«
    »Man muss es ihnen zeigen. Eine andere Sprache verstehen sie nicht. Wir werden uns doch so was nicht gefallen lassen!«
    »So was?«
    »Ja, so was!«
    Daraufhin kam der Nachbar aus dem ersten Stock wieder aus dem Haus, begleitet von zwei wallenden, unmöglich zu unterscheidenden Schatten von gleicher Größe, er ging kerzengerade in seinem weißen Kaftan, die beiden Frauen ein Stück hinter ihm. Nach ein paar Schritten hob er den Kopf, blickte uns, mich und meinen Fensternachbar, erneut mit jenem spöttischen Blick an; sein Lächeln wurde breiter, er blieb stehen und streckte uns bedächtig die Zunge heraus, dann verschwand er hinter der Straßenecke, von zwei Schatten umrahmt.
    »Haben Sie das gesehen? Genau was ich sage. Er ist polygam, sage ich Ihnen, und das unter unserem Dach; und er macht sich über uns lustig.«
    »Das kann einen neidisch werden lassen, oder?«
    Er verdrehte die Augen, schnappte nach Luft und knallte sein Fenster zu. Nun betrachtete ich allein die Saône, ganz nackt in der Morgensonne; und ich wartete auf dich bei dir zu Hause, mein Herz.
    Salagnon hatte es mir gesagt: mit »ihnen«, mit dem »sie«, läuft das immer auf Rivalität hinaus, dann geht es nur noch darum, wer wem den Schwanz abschneidet, wer wem einen Stromschlag versetzt, wer wen reinlegt. Wir begehren einander zu sehr, um uns voneinander zu trennen, wir gleichen uns zu sehr, um uns voneinander zu entfernen. Wen würden wir vor die Tür setzen, wenn die SIFF an der Macht wäre? Alle, die so aussehen wie »sie«? Und wer wäre das

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