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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Glauben Sie nur nicht, man könne über die Freizeit frei verfügen: sie wird nur anders gestaltet. Am Samstagvormittag Einkäufe und am Nachmittag Shopping. Zwei unterschiedliche Worte, denn es handelt sich um zwei grundverschiedene Dinge. Das erste bezeichnet eine Pflicht, das zweite ein Vergnügen; das erste einen zweckbetonten Zwang, das zweite eine beliebte Freizeitbeschäftigung.
    Und abends kommen Freunde zu uns. Andere Ehepaare, mit denen wir zu Abend essen. Sonntagmorgen wird lange geschlafen, das ist ein Prinzip. Anschließend ein möglicher Moment der Sinnlichkeit, ein bisschen Sport, lockere Kleidung, einen kleinen Brunch, und das Nachmittagsprogramm habe ich vergessen. Denn wir sind nicht bis zum Nachmittag gekommen. An jenem Sonntag haben wir nichts unternommen, und am Nachmittag hat meine Frau die ganze Zeit geweint. Sie hat in meinem Beisein nur geweint, und ich habe nichts gesagt. Und dann habe ich sie verlassen.
    Als Paar haben wir uns vor allem aufs Einkaufen spezialisiert. Der Einkauf gründet ein Paar; die Sexualität natürlich auch, aber die Sexualität wird nur im intimen Rahmen praktiziert, während der Einkauf uns als soziale Einheit ausweist, als kompetente Wirtschaftssubjekte, die ihre nicht der Arbeit oder der Sexualität gewidmete Zeit sinnvoll ausfüllen, mit Sinn füllen. Unsere Gespräche drehten sich um Anschaffungen, die wir dann auch tätigten; mit unseren Freunden sprachen wir über unsere Anschaffungen, jene, die wir schon getätigt hatten, jene, die zu tätigen waren und jene, die wir gern tätigen würden. Häuser, Kleidung, Autos, Einrichtungsgegenstände und Abonnements, Musik, Reisen, technische Spielereien. Das beschäftigt. Man kann mit seinem Ehepartner endlos das Objekt der Begierde beschreiben. Es ist käuflich, denn es ist ein Objekt. Die Sprache sagt es, und dass die Sprache es sagt, ist eine Beruhigung; und zugleich ruft es unsagbare Verzweiflung hervor.
    An dem Samstag, an dem alles in die Brüche ging, fuhren wir zum Supermarkt. Wir schoben unseren Einkaufswagen, umgeben von anderen schick gekleideten Paaren. Sie kamen gemeinsam wie wir, und manche hatten ihre kleinen Kinder mitgebracht, die auf dem Kindersitz der Einkaufswagen saßen. Und einige hatten sogar ihren Säugling in einer Babyschale mitgebracht. Mit offenen Augen auf dem Rücken liegend betrachtete das Baby die Zwischendecken, an denen Bilder hingen, es hörte ringsumher ein reges Treiben und einen Lärm, den es nicht verstand und wurde von dem Licht geblendet, das die anderen nicht sahen, aber das Baby schon, denn es lag mit offenen Augen auf dem Rücken. Und da brach das Baby in Tränen aus, brüllte ohne aufhören zu können. Die Eltern schrien sich sehr bald an. Der Ehemann war voller Ungeduld: alles ging ihm zu langsam, denn seine Frau wollte sich alles ansehen, sie zögerte ostentativ, traf schließlich bedächtig und kompetent ihre Wahl, aber all das zog sich in die Länge; und sie empörte sich, weil er sich sträubte, als störe es ihn, mit Frau und Kind hier zu sein, er kaufte egal was, Hauptsache es ging schnell. Er stellte eine gereizte Miene zur Schau und vermied es, sie anzublicken. Der Streit brach aus, bei allen mit denselben Worten, die schon formuliert waren, ehe man den Mund öffnete. Der Ehestreit ist ebenso kodifiziert wie die symbolischen Tänze in Indien: die gleichen Posen, die gleichen Gesten, die gleichen zeichenhaften Worte. Alles beruht auf eingeübten Szenen, und alles wird gesagt, ohne dass es notwendig gewesen wäre, es zu sagen. So spielt sich das ab, wir bildeten da keine Ausnahme. Nur blieb der Konflikt unter uns noch latent, schwelte wie Glut, denn wir hatten keine Kinder, die ihn zum Ausbruch hätten bringen können.
    An jenem Samstag, an dem der Tunnel unter unseren Füßen einstürzte, schoben wir gemeinsam einen Einkaufswagen durch den Supermarkt. Ich ging zur Fleischabteilung und blieb stumpfsinnig vor den von innen erleuchteten Kühlregalen stehen. Ich beugte mich vor und verharrte reglos, von unten beleuchtet, ich muss wohl angsterregend ausgesehen haben, mit dem umgekehrten Schatten auf meinem Gesicht, herabgesackter Kinnlade und starrem Blick. Mein Atem wurde zu einer weißen Wolke. Ich nahm mit einer Hand eine Schale Fleischwürfel in Klarsichtverpackung aus dem Regal und schob sie langsam in die andere Hand; dann legte ich sie wieder zurück und nahm eine andere, und das wiederholte ich bedächtig immer wieder, ich ließ die Fleischpäckchen in verlangsamter

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