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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Sieges: Sie sind die Beutestücke des sozialen Krieges. Wir sind noch immer skythische Reiter. Die Arbeit ist der Krieg, der Beruf die Ausübung von Gewalt, das Haus eine Festung, und die Frau eine Beute, die quer über das Pferd geworfen und verschleppt wird.
    Das dürfte nur jene wundern, die glauben, ein Leben zu führen, das sie gewählt haben. Unser Leben besitzt nur eine statistische Wahrheit, denn Statistiken beschreiben es besser als alle Berichte, die man darüber ablegen kann. Wir sind skythische Reiter, das Leben ist eine Eroberung: Ich drücke hier keine persönliche Meinung aus, sondern formuliere nur eine mit Zahlen belegbare Wahrheit. Sehen Sie sich nur an, was passiert, wenn alles zusammenbricht, sehen Sie sich an, in welcher Reihenfolge das geschieht. Wenn der Mann seinen Arbeitsplatz verliert und keinen anderen wiederfindet, nimmt man ihm das Haus weg, und seine Frau verlässt ihn. Sehen Sie sich an, wie das geschieht. Die Ehefrau ist eine Eroberung, so sieht sie das selbst; die Frau des arbeitslos gewordenen leitenden Angestellten verlässt den Besiegten, der nicht mehr die Kraft hat, sich ihrer zu bemächtigen. Sie kann nicht mehr mit ihm leben, er widert sie an, wenn er während der Bürozeiten zu Hause herumsitzt, sie erträgt nicht mehr dieses nun so häufig unrasierte, schlecht gekleidete Wrack, das tagsüber fernsieht und dessen Gesten immer langsamer werden; er stößt sie ab, dieser Besiegte, der sich vergeblich bemüht, über die Runden zu kommen, tausend Anstrengungen unternimmt, alles versucht, immer tiefer sinkt und sich schließlich unrettbar lächerlich macht, was seinen Blick, seine Muskeln und sein Geschlechtsteil erschlaffen lässt. Die Frauen verlassen die zu Boden gefallenen skythischen Reiter, die schlammbedeckten abgeworfenen Reiter: Das ist eine statistische Realität, die keine Erzählung ändern kann. Die Erzählungen sind alle wahr, aber angesichts der Zahlen haben sie keinerlei Gewicht.
    Ich hatte gut angefangen. Zur Zeit der 1. Linken Republik wurden wir von einem sanften Leviathan regiert, dem seine Größe und sein Alter zu schaffen machten und der zu sehr damit beschäftigt war, an Erstarrung zu sterben, um daran zu denken, seine Kinder zu verschlingen. Der katzenfreundliche Leviathan gab jedem einen Platz im Staat der 1. Linken Republik. Er kümmerte sich um alles; er kümmerte sich um alle. Ich arbeitete in einer staatlichen Institution. Ich hatte eine gute Position, lebte in einer schönen Wohnung mit einer sehr schönen Frau, die den Vornamen Océane trug. Ich mochte diesen Vornamen sehr, der nichts besagte, da er mit keinerlei Erinnerung behaftet war; Kinder bekommen oft aus Aberglauben oder als Geschenk einer Fee solche Vornamen, damit sie ihnen von klein an Glück bringen. Meine Karriere war in der Zeit des allgemeinen sozialen Aufstiegs gleichsam vorprogrammiert. Ein Abstieg war unvorstellbar, das wäre ein Anachronismus gewesen.
    Was waren das für heroische Zeiten, die ersten Momente der 1. Linken Republik! Man hatte sie schon so lange erwartet. Wie lange sollte sie dauern? Vierzehn Jahre? Drei Sommermonate? Nur den Abend jenes Sonntags, an dem er gewählt wurde? Schon am folgenden Tag, vielleicht schon am folgenden Tag ging es bergab, wie mit Schnee, der schon nach den ersten vom Himmel gefallenen Flocken zu Matsch wird. Mein Aufstieg verwandelte sich in einen Abstieg; ich sprang in die Tiefe. Der Sturz ist eine Form von sinnlicher Lust. Das spürt man im Traum: Wenn man fällt, ruft das im Magen ein Gefühl der Gelöstheit hervor, als schwebe man in einem Heliumballon am Himmel. Dieses wohlige Gefühl gleicht dem, was die sexuelle Erregung war, bevor man wusste, dass das Geschlechtsteil selbst erregbar ist. Der Sturz ist eine sehr archaische Form von sexueller Lust; und daher lass ich mich gern fallen.
    Ich habe mein Ziel fast erreicht. Ich penne in einem Teil der Altstadt, der nicht renoviert wird, weil niemand die Treppen findet, die dorthin führen. Ich lebe über den Dächern; ich sehe die unpersönliche Oberseite der Wohnhäuser, ich kann den Verlauf der Straßen nicht rekonstruieren, so chaotisch sind die Dächer. Die elektrischen Anlagen stammen aus der Zeit der Erfindung des elektrischen Stroms, mit Drehschaltern und Drähten, die mit einer Stoffhülle isoliert sind. Der Putz auf den Fluren ist nicht gestrichen und bedeckt sich mit Algen, die vom Licht der Lampen leben. Der Boden ist mit Terrakottafliesen ausgelegt, die rissig sind, zerbrechen,

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