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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Lungenentzündung sterben. Angesichts der Zeiten, in denen wir leben, wäre das zu blöd, ich würde mir nie verzeihen, an einer Lungenentzündung gestorben zu sein. Das würde ich mir wirklich nie verzeihen«, sagte er noch einmal mit weinseligem Lachen.
    Er drückte Victorien mit ungelenker Begeisterung einen Kuss auf die Wangen und ging davon. Es war derart finster in der verdunkelten Stadt, dass der Onkel schon auf der Mitte der Brücke nicht mehr zu sehen war.
    Victorien kehrte mit hochgeschlagenem Kragen und den Händen in den Taschen heim, aber ohne zu schlottern. Die Kälte machte ihm nichts aus.

KOMMENTAR II
    Ich habe bessere Tage gekannt und ihnen den Rücken gekehrt
    I ch wohne jetzt in einem kleinen Stall auf einem Dach. Ich habe auf einer alten Radierung gesehen, wie viele es davon auf den Dächern von Lyon gibt, sie gleichen sich alle: Mauern aus Fachwerk und Ziegelsteinen, Lehmputz, Pultdach und eine ganz mit kleinen Scheiben verglaste Ostwand. Weitere Fenster sind überflüssig, denn die Altstadt ist am Fuß eines Hügels, fast einer Felswand errichtet, die mir nachmittags die Sonne nimmt. Jeden Morgen blendet mich die Sonne durch mein schlecht schließendes Fenster hindurch. Vorn sehe ich nichts, ringsumher nichts und dahinter nichts, ich schwebe über den Dächern im Licht, das direkt vom Himmel fällt. Ich hatte schon lange davon geträumt, ehe ich mich dort niederließ. Und jetzt bin ich dort. Normalerweise macht man Fortschritte, man wünscht sich ein größeres, bequemeres Haus mit mehr Menschen darin und erfüllt sich diesen Wunsch. Man knüpft mehr und mehr Kontakte. Meine gegenwärtige Bleibe dagegen ist kaum bewohnbar, niemand besucht mich dort, ich lebe allein und freue mich darüber. Erfreue mich an dem Glück, nichts zu sein.
    Ich habe bessere Tage gekannt; ich hatte ein Haus. Ich hatte auch eine Frau. Und jetzt wohne ich in einem Taubenschlag. Es ist eine witzige Unterkunft, ein einfacher Höcker im Chaos der Dächer, in dieser zusammengeflickten Stadt, in der nie etwas zerstört worden ist und in der sich nie etwas ändert, in der man anhäuft, auftürmt. Ich wohne in einem Verschlag, in einem Kabäuschen auf einem der Wohnhäuser, die sich im Laufe der Jahrhunderte am Saône-Ufer angesammelt haben, so wie sich die Anschwemmungen dieses Flusses ansammeln, verhärten und sich in festen Boden verwandeln.
    Ich lebe gern in einer Schachtel über den Dächern. Das hat mich schon seit langem gereizt. Ich habe von der Straße aus diese zusätzlichen Räume in der Luft betrachtet, diese Knospen einer Stadt, an der man nicht baut, sondern die wächst. Ich wünschte mir das mit in den Nacken gelegten Kopf, wusste nicht, wie man dorthin gelangte. Ich argwöhnte, dass keine Treppe wirklich dorthin führte; oder aber ein enger Schlauch, der sich nach dem ersten Durchgang wieder schließt. Ich träumte davon, dort vor dem Fenster zu sitzen, vor dem Nichts, und ich wusste genau, dass es in dieser chaotischen Stadt Räume gab, die man nicht erreichen konnte und die nur Fetzen eines Traums waren. Aber jetzt bin ich dort.
    Das Leben dort ist einfach. Wo immer ich auch sitze, habe ich meine gesamte Habe im Blick. Und die Temperatur kommt direkt vom Himmel: Im Winter verflüchtigt sich die Wärme und man friert; im Sommer ist die Hitze so drückend, dass man fast erstickt. Das wusste ich im Voraus, und inzwischen habe ich mich davon überzeugen können, aber ich lebe in einer dieser Unterkünfte, in der ich unbedingt wohnen wollte, und genieße es nach wie vor. Ich lebe in einem Zimmer, das für mich zu einem Haus geworden ist. Durch das Fenster sehe ich große Flächen aus Dachziegeln, die Balkons der Innenhöfe, die mit einer Brüstung versehenen Galerien und turmförmige Treppenhäuser, daraus besteht mein niedriger, verworrener Horizont, und ansonsten sehe ich nur den Himmel. Wenn ich vor dem Himmel sitze, befinden sich hinter mir nur ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, der so groß ist wie ein aufgeschlagenes Buch, ein Spülbecken, das für alles Mögliche dient, und vor allem die Wand.
    Ich freue mich, dass ich diesen Hochsitz im Himmel gefunden habe. Ich freue mich, dass ich zu einer elenden Behausung gelangt bin, die man im Allgemeinen flieht, um jeden Preis zu verlassen sucht, wenn man Fortschritte im Leben machen will. Ich mache keine Fortschritte. Und darüber freue ich mich.
    Ich hatte eine Arbeit, ein Haus und eine Frau, die drei Facetten ein und derselben Realität, die drei Aspekte desselben

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