Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Segeltuchvordach hingen nebeneinander aufgereihte lackierte Innereien. Ich wusste nicht, wie diese Fleischstücke hießen, wusste nicht einmal, ob sie einen Namen in der französischen oder einer anderen europäischen Sprache hatten: Es handelte sich offensichtlich um so etwas wie Kaldaunen, aber sie waren an einem Stück, ohne dass etwas fehlte, rote Kaldaunen, die an der Luftröhre aufgespießt an einem Haken hingen. Da ich mich in der Anatomie ein wenig auskannte, wusste ich in etwa um welche Organe es sich handelte, ohne jedoch das Tier genau benennen zu können, ich vermutete, dass es sich um einen Vogel handelte; zumindest um ein Federvieh.
Keine Ahnung, wie sie das zubereiten. In den chinesischen Kochbüchern, die man in Frankreich findet, werden sie nie erwähnt. In diesen Büchern ist nur von den edlen Stücken die Rede, die mit dem Messer nach den kunstgerechten Regeln des Schlachtens zerlegt werden, der Anatomie des Tieres entsprechend. Die grässlichen Innereien werden nie gezeigt und doch werden sie gegessen. Sie haben eine Art Realismus an sich, der schaudern macht, und ich erschauere noch mehr bei dem Gedanken an die Art, wie sie entnommen werden. Es gibt, soweit ich weiß, keine Möglichkeit, Haut, Fleisch und Knochen aufzulösen und nur die unversehrten Eingeweide in ihrer natürlichen Anordnung zu bewahren. Und daher muss man die Hand in den Schlund des Tieres stecken, das selbstverständlich lebendig sein muss, damit die Gedärme noch vom Atem aufgebläht sind, und dann den Aortabogen oder sonst irgendein gut zu ergreifendes Stück packen, es drehen, damit es abreißt, und an ihm ziehen, damit es herauskommt: die Eingeweide geben nach und gleiten in ihrer ganzen Länge noch dampfend und atmend in die Hand. Man taucht sie schnell in roten Karamell, um sie in der Form erstarren zu lassen, die sie gerade haben, und sie so zeigen zu können, ohne etwas dazu zu erfinden; aber wer würde schon solche Organe erfinden? Wie sollte man Eingeweide erfinden können? Kann man das Innere des Körpers, das zuckende, sterbende, aufgehängte Fleisch aus den tiefsten Tiefen erfinden? Wie sollte man das wahre Fleisch erfinden? Man begnügt sich damit, es zu ergreifen und zu zeigen.
Ich blieb also unter dem Segeltuchvordach des chinesischen Schlachters stehen und bewunderte die aufgehängten, rot lackierten Kaldaunen. Oh, was für ein Genie die Chinesen besitzen! Auf Gesten und auf Fleisch angewandt! Ich weiß nicht, wie man diese bemalten Innereien isst, weiß nicht, wie man sie zubereitet, ich versuche mir das nicht einmal vorzustellen; aber jedes Mal wenn ich hier vorbeikomme und sie dort hängen sehe, so realistisch, so unverfälscht, so rot, bleibe ich stehen und träume von ihnen, und dabei läuft mir das Wasser im Mund zusammen, das ich kaum hinunterzuschlucken wage. Aber diesmal beschloss ich, einen Strang zu kaufen. Der weiß gekleidete Schlachter sprach nur gebrochen Französisch. Mit den meisten Kunden sprach er Chinesisch. Ich beschloss, ihm keine Fragen zu stellen, denn seine Erklärungen würden mühselig und bestimmt enttäuschend sein, da war es schon besser, mich von meiner Fantasie beflügeln zu lassen. Sehr selbstsicher zeigte ich mit Kennermiene auf einen Strang Kaldaunen, den er mir in eine Plastiktüte legte.
Ich setzte meinen Weg innerhalb der dicht gedrängten Menge fort, mitten durch das Gedrängel, umgeben von den Rufen der Händler, dem ununterbrochenen Geschwätz, den Gerüchen von allem, was man essen kann, und trug mit unerklärlicher Freude die schwere Plastiktüte in der Hand.
Aber das würde nicht ausreichen, um unsere Gäste zu verköstigen; ich suchte mit bebenden Nasenflügeln weiter. Ein Geruch ließ mich stocken. Ein fetter, fruchtiger und beängstigend mächtiger Dampf entströmte einem bauchigen Kochkessel, der auf einem Gaskocher erhitzt wurde. Ein Mann in einer langen, über die Erde schleifenden Schürze rührte den Inhalt um. Der Kochkessel reichte ihm bis an die Hüfte, und der Stiel des Holzlöffels hatte die Größe eines Knüppels; ich hätte ihn nur mit Mühe in einer Hand halten können, doch er drehte ihn mühelos wie einen Kaffeelöffel in einer Tasse um. Was er da umrührte, war rot, fast schwarz, und brodelte in der Mitte, und an der Oberfläche schwammen Gewürzkräuter und Zwiebelscheiben im Kreis. »Blutwurst«, schrie er. »Blutwurst! Echte Blutwurst!« Er legte Nachdruck auf das Wort »echte«. »Das ist nichts für kleine Mädchen, das ist echte Wurst aus
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