Die Frau am Tor (German Edition)
ausgedrückt.
Er hatte sich verschiedentlich auch schon mit Leichnamen zu beschäftigen gehabt, aber das war jedes Mal in einem doch völlig anderen Kontext geschehen, in irgendwie exotischen Situationen, die gleichsam aufgrund höherer Gewalt entstanden waren.
Die Beseitigung eines Toten aus der Wohnung einer ihm völlig fremden, attraktiven, offensichtlich kultivierten jungen Frau in einem der besseren Viertel Berlins bedeutete auch für den weitgereisten, welterfahrenen und in vielerlei Hinsicht versierten Journalisten Robert Kessler eine völlig neue Herausforderung – zumal es niemand anders als eben diese Frau gewesen war, die mittels eines Küchenmessers dafür gesorgt hatte, dass aus einem großen kräftigen Mann ein lebloses Etwas geworden war. Objektiv gesehen handelte es sich um einen Fall von vergleichsweise banaler Gewalt, wie sie in Polizeiberichten und Fernsehkrimis vorkam.
Wenn es darauf ankam, war er immer höchst pragmatisch vorgegangen und hatte eine auf manche Kollegen geradezu provokant wirkende Gelassenheit an den Tag gelegt. Dennoch konnte er nicht umhin, sich ein wenig über sich selbst zu wundern, wie abgeklärt, ja scheinbar fachmännisch er jetzt zu Werke ging, als er den Inhalt der Brieftasche inspizierte und die Taschen des Toten leerte. Er fand ein Handy und einen Schlüsselbund, der offensichtlich aus einem Haus- und einem Wohnungsschlüssel bestand, aber er fand keinen Autoschlüssel, was insofern wichtig war, als es bedeutete, dass nicht irgendwo in der Nähe der Wagen des Toten stehen konnte. Dafür stieß er auf einen Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe, abgestempelt um 20.43 Uhr. In der Brieftasche befanden sich zwei Kredit- und mehrere Einkaufskarten sowie ein Fünfzig-Euro-Schein, zwei Zwanziger und etwas Münzgeld. Und sie enthielt den Ausweis, demzufolge es sich bei dem Toten um Oliver Rensing handelte, geboren am 18. Oktober 1974 und wohnhaft an der Falkenseer Chaussee in Spandau.
“ Oliver Rensing heißt du also”, murmelte er, “oder genauer gesagt: hießest du.” Zugleich ging ihm durch den Kopf, dass er immer noch nicht wusste, wie eigentlich die Frau hieß, die das Dasein dieses Oliver Rensing aus dem Präsens ins Imperfekt befördert hatte. Und ebenso wenig wusste sie ihrerseits, wer jener fremde Mann war, der sich da freundlicherweise bereitgefunden hatte, ihr diesen toten Oliver Rensing endgültig vom Hals zu schaffen. Genau so formulierte er es im Geiste, und die Situation kam ihm für einen kurzen Moment derart aberwitzig, ja surreal vor, dass er dachte: gleich ist es so weit, gleich werde ich wach und bin erleichtert, weil ich das alles nur geträumt habe.
Doch die Frau hatte mittlerweile ganz real den Putzeimer und die Tüte herbeigeschafft und schaute ihm aus einigem Abstand zu. In ihren Augen lag immer noch Angst, aber es schien ein bisschen weniger geworden zu sein.
“ Mir fällt gerade ein, dass wir uns einander noch gar nicht vorgestellt haben”, sagte er. “Vielleicht sollten wir das allmählich nachholen. Es sei denn, wir verständigen uns darauf, dass wir es dabei belassen, bei dieser Anonymität, meine ich. Vielleicht wäre das ja besser so.”
“ Oh”, machte sie und kam näher, mit leichter Röte und einem Ausdruck von Verlegenheit im Gesicht. “Ich weiß auch nicht, also...”
Sie streckte ihm die Hand hin und er ergriff sie, ohne in dieser Sekunde daran zu denken, dass diese Hand vor wahrscheinlich nicht einmal einer Stunde ein Küchenmesser in die Brust eines Menschen gestoßen hatte. Dieser Gedanke kam ihm erst, als er ihre Hand wieder losließ, die sich zart, aber fest und trocken anfühlte, und er verdrängte ihn schnell wieder.
“ Ich heiße Julia”, sagte sie mit einem entfernten Anklang unschuldiger Koketterie. “Julia Gerlach.”
Er nannte ihr seinen Namen und fuhr dann gleich fort:
“ Wir müssen hier gründlich sauber machen. Seine Sachen sowie das Messer packen wir erstmal in die Tüte. Was wir damit machen, werden wir dann später sehen. Aber zuerst müssen wir ihn mal runter in die Garage bringen, in Ihren Wagen. Und dabei müssen Sie mir ein bisschen helfen. Vielleicht haben Sie ja auch irgendwo noch eine alte Decke oder so was.”
“ Ich? Helfen? Oh Gott! Wieso denn? Wie denn?”, stotterte sie und wich zurück und wurde blass.
“ Na los, Sie müssen schon mit anpacken. Allein schaffe ich das nicht. Wo geht's denn in den Keller? Machen Sie schon mal die Tür auf und das Licht an.”
Es war eine
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